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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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sie musste Kaspar vertrauen. Er meinte es ernst. Warum sonst hätte er sein Vorhaben bis ins Kleinste mit ihr besprochen? Ihr ein ums andere Mal versichert, dass er den Neubeginn nur mit ihr wagen wolle? Hatte er nicht sogar, als es endlich soweit war und sie eins mit ihm wurde, geflüstert: Ich liebe dich? Und hatte ihr die Wahrsagerin nicht neulich aus der Hand gelesen, ihr sei Eheglück und Kindersegen in einer fernen Stadt beschieden?
    Sie sprang vom Bett auf und ging zum Waschtisch, um sich zu kämmen und zurecht zu machen. Aus der Küche hörte sie das Klappern der Töpfe. Ihre Mutter begann das Mittagsmahl vorzubereiten, und es war Agnes’ Aufgabe, dabei zu helfen. Trotzig verzog sie das Gesicht. O ja, sie würde ihren Pflichten nachkommen, ganz die folgsame Tochter, und Kaspar nie wieder erwähnen. Denn nur eines zählte: An Martini würde sie ihren Geliebten wiedersehen.
     
    Der Sommer hatte dieses Jahr nur ein kurzes Gastspiel gegeben. Auf den heftigen Gewittersturm Ende August war ein kühler September gefolgt, mit einer kraftlosen Sonne am dunstigen Himmel, und hernach ein feuchter, nebliger Oktober. Auch jetzt, an diesem Sonntagvormittag, zeigte sich die Welt grau in grau.
    Matthes trat vom Fenster zurück und setzte sich in Jakobs alten Lehnstuhl. Er war gerade mit der Familie vom Gottesdienst zurückgekehrt. Keiner hatte ein Wort gesprochen, als sie den Marienplatz überquerten, auf dem seit gestern die Stände und Lauben für den Martinimarkt aufgebaut waren. Er fragte sich, was wohl in seiner Schwester vorgegangen sein mochte, als sie am Bühnenwagen der Gaukler vorbeikamen. Von der Truppe war niemand zu sehen gewesen, doch Agnes war ohnehin mit erhobenem Kopf, ohne nach rechts und links zu blicken, daran vorbeimarschiert.
    Seit jenem schlimmen Streit mit den Eltern war seine Schwestereine andere. Ihr Gesicht war zu einer Maske erstarrt, ihr Blick abwesend und ernst. Sie kam nicht mehr vor dem Schlafengehen zu ihm und Jakob herunter, wie sie es sonst getan hatte, um mit ihnen eine halbe Stunde zu würfeln oder Karten zu spielen, beteiligte sich kaum noch an den Tischgesprächen und stürzte sich stattdessen verbissen in ihre Haus- und Flickarbeiten. Und bei den wechselseitigen Sonntagsbesuchen mit der Familie Nägli benahm sich Agnes wie eine mustergültige junge Dame. Wahrscheinlich sah sich der dicke Ulrich schon als ihr Gatte.
    Matthes hatte längst begonnen, Agnes’ frechen Spott und ihre Neckereien zu vermissen, von ihrem lauten, fröhlichen Lachen ganz zu schweigen. Manchmal fragte er sich, ob sie was im Schilde führte.
    Anfangs war ihm dieser Streit gerade recht gekommen – schienen doch seine Eltern über jene unerhörte Geschichte mit Agnes und diesem singenden Possenreißer den Ärger über ihn vollkommen vergessen zu haben. Niemand hatte mehr auf ihn geachtet, weder hatte der Vater das Gespräch mit seinem Meister gesucht noch den angedrohten Hausarrest wahr gemacht. Matthes zog ein finsteres Gesicht. Wenn er, Matthes, anstelle seines Vaters gewesen wäre, er wäre noch am selben Morgen zum Gauklerlager hinaus und hätte Kaspar die Seele aus dem Leib geprügelt. Er war sich sicher, dass dieser Hundsfott jede Nacht über ein anderes Weib stieg.
    Doch ihn hatte niemand gefragt, und sich einzumischen hätte er nicht gewagt. So ging der Alltag für ihn bald wieder seinen gewohnten Gang: Frühmorgens verließ er das Haus, um in die ungeliebte Werkstatt zu trotten, wo er bis zum Feierabend nichts anderes tat, als Rinder- und Ziegenhörner zu entschlauchen und zuzurichten und die Hohlstücke aufzuschneiden. Nicht ein einziges Mal hatte ihn der Meister bisher an die Drehbank gelassen, obwohl er bereits seit einem Jahr in Lehre war. Stattdessen fluchte der Alte über sein Ungeschick und seinen Widerwillenbei der Arbeit und prophezeite ihm ein ums andere Mal, aus ihm werde nie ein ordentlicher Handwerker. Womit er nicht falsch lag, denn Matthes hatte längst andere Pläne. Mit diesem weibischen Kram wie Frisier- und Zierkämmen, Haarnadeln, Knöpfen, Spielmarken und anderem Schnickschnack hatte er ohnehin nichts am Hut. Wenn schon jahrelang als Lehrbub ochsen, dann wollte er wenigstens einen Beruf für richtige Männer erlernen.
    Er beugte sich über die Armlehne und tastete unter sich über die Dielenbretter, bis er die lose Stelle fand. Vorsichtig zog er den Stapel Flugblätter hervor. Plötzlich stand Jakob hinter ihm.
    «Was schleichst du dich herein wie ein Strauchdieb?», herrschte

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