Die Gauklerin
Matthes seinen jüngeren Bruder an.
«Vielleicht hast du vergessen, dass das auch meine Kammer ist? Los, zeig schon her.»
Mit einem Ruck entriss Jakob ihm das oberste Blatt.
Glorreicher Sieg der Bayerisch-Kaiserlichen über die calvinischen Ketzer
prangte fett über einem Bildnis des so genannten Winterkönigs Friedrich. In frechem Strich hatte der Zeichner den Pfälzer barfuß, in Lumpen und mit zerbrochener Wenzelskrone auf dem lockigen Haupt dargestellt.
«In der Nacht vom siebenten zum achten November – die Böhmischen vernichtend geschlagen – Schlacht am Weißen Berge –», murmelte Jakob halblaut vor sich hin. «Kühn und voller Wagemut – Tillys tapfere Mannen – Prag vom Joch der Ketzer befreit.» Er sah auf. «Ich dachte, der Mansfelder hätte die Bayern bei Pilsen zurückgeschlagen?»
«Seit wann interessiert dich der Krieg?»
Jakob zuckte die Achseln. «Das tut er nicht, aber ich habe halt Augen und Ohren. Was mich interessiert, sind die Menschen.» Er gab ihm die Flugschrift zurück. «Von wem hast du das?»
«Von Gottfried. Hat er mir heute in der Kirche zugesteckt.»
«Der großgoscherte, aufgeblasene Gottfried Gessler? Dasscheint ja dein neuester Spezi zu sein. Und woher hat der die Blätter?»
«Sein Vater lässt sie sich kommen.»
Auf Jakobs schmalem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. «Büchsenmacher Gessler, der brave Lutheraner. Hält Ausschau, an wen er seine Feuerrohre verscherbeln kann. Und wenn’s an die Katholischen ist, die damit seine Glaubensbrüder über den Haufen schießen.»
«Du kleiner Klugscheißer! Wehe, du verpfeifst mich bei Vater.»
Jakob schüttelte den Kopf. «Keine Sorge. Ich frag mich bloß, ob du immer noch abhauen willst. Aber wie du siehst, gewinnt der große Tilly seine Schlachten auch ohne dich.»
«Halt’s Maul. Du redest schon so blöd daher wie Agnes.»
Sein Bruder brauchte ja nicht zu wissen, wie froh er im Nachhinein war, dass der Vater ihn an jenem Sommerabend erwischt hatte. Damit hatte er sich eine Blamage vor all den anderen Burschen der Stadt erspart. Denn als sein Freund Gottfried Gessler, mit dem er auf der Kuppelnau verabredet gewesen war, vor den Musterschreiber getreten war, hatte der ihn als Erstes nach seinem Alter gefragt. Achtzehn, hatte Gottfried gesagt. Da war der Mann in schallendes Gelächter ausgebrochen und hatte ihm mit den Worten «Da hast du dein Handgeld» vor allen anderen kräftig eins hinter die Ohren gegeben. Unter einem Schwall von Spott und Häme hatte er den Heimweg antreten müssen.
Matthes verstaute die Blätter wieder in ihrem Versteck.
«Hör zu, Jakob: Bevor du dich vielleicht doch vor deiner geliebten Schwester verschwatzt – ich will bloß auf dem Laufenden sein. Mehr noch als der Krieg interessiert mich das Büchsenmachen. Mit ein wenig Glück werde ich bei Gessler nächstes Jahr die Lehre beginnen.»
Jakob sah ihn aus seinen hellen Augen erstaunt an. «Du willst schon wieder eine neue Lehre anfangen?»
«Was heißt schon wieder? In der Kunstschlosserei unseres Oheims war ich nur zu einer Probezeit.»
Jakob grinste spöttisch und schwieg.
«Denk doch, was du willst. Der alte Gessler jedenfalls meint, die Zeiten seien formidabel. Die Büchsenmacherzunft wird bald die Königin der Zünfte sein.»
3
Seit Kaspar wieder in der Stadt war, fand Agnes nachts keinen Schlaf. Ihre Eltern ließen sie nicht aus den Augen, und wenn Agnes außer Haus ging, schickten sie Jakob mit, dem die Eltern wohl mehr Familien- und Verantwortungssinn zutrauten als dem Älteren.
Als Agnes am vierten Tag seit Beginn des Jahrmarkts noch eben zu den Brot- und Fleischbänken im Waaghaus eilte und sich in die Schlange einreihte, zupfte sie jemand am Ärmel.
«Von deinem Schatz», flüsterte die Tochter des Prinzipals, drückte ihr einen Zettel in die Hand und verschwand. Agnes hielt die Luft an. Kaspar hatte sie nicht vergessen! Rasch warf sie einen Blick auf Jakob, der vor der Stadtwaage auf sie wartete, doch der schien nichts bemerkt zu haben. Oder er tat zumindest so, denn jetzt winkte er ihr freundlich zu.
Die Minuten dehnten sich zu Stunden. Endlich hatte sie die Einkäufe hinter sich gebracht und stand bei ihrer Mutter in der Küche.
«Ich gehe nur eben meine Schürze holen», murmelte sie und rannte die Stiege hinauf in ihre Kammer. Ihr Herz raste, als sie das Papier auseinander faltete und die ungelenken Buchstaben wieder und wieder las:
Herzallerliebste Agnes! Meine Prinzessin!
Es ist so weit. Wenn du
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