Die Gauklerin
wunderlicher.»
«Wahrscheinlich treibt er’s am liebsten mit sich selbst. Deshalb geht er jede Nacht als Erster schlafen.»
Der Krabat winkte seinen Burschen zu sich. «Wo wir grad von Weibern reden – geh durchs Dorf und hol uns ein paar Mädel. Aber hübsch müssen sie sein und jung, verstanden?»
Ohne ein weiteres Wort verließ Matthes die Stube und ging einen Stock höher, wo er die erstbeste Zimmertür öffnete. Es war wohl die Kammer der Mädchen, denn es roch frisch und sauber, und an den Wänden hingen hübsche Girlanden aus Strohblumen. Wo in diesem Augenblick die Müllersleute stecken mochten? Er hoffte, dass sie bei Freunden Unterschlupf gefunden hatten und sich nicht in irgendwelchen löchrigen Schuppen aneinander drängen mussten, um nicht zu erfrieren.
Er streifte seine nassen Sachen ab und kroch unter die Daunendecke. Dann löschte er das Licht. Starrte mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit. Über ein Jahr lag das schreckliche Ende seines Freundes nun zurück, und noch immer kämpfte er beim Einschlafen gegen den grauenhaften Anblick des verstümmelten Körpers an. An jenem Tag war die Welt eine andere geworden. Damals hatte er beschlossen, den Kriegsdienst zu quittieren, doch gleich nach Gottfrieds Tod hatte Oberst von Arnim ihn zum Corporal befördert, später sogar zum Wachtmeister. Als Drillmeister war er nun für die Waffen- und Leibesübungen verantwortlich, hatte er für die Aufstellung der Kompanie im Schlachthaufen zu sorgen. In den ersten Wochen nach Wolgast hätte er sich gewünscht, auf dem Schlachtfeld zu sterben. Keiner Gefahr war er ausgewichen, doch er schien unverwundbar. Das musste der schützende Zauber des Marderzahns sein, anders konnte er es sich nicht erklären.
Von unten drang lautes Gelächter herauf. Es war ihm gleich, dass er unter den Offizieren als Sonderling galt. Er legte keinen Wert auf die Gesellschaft dieser Männer mit ihren rohen Späßen und Prahlereien. Bei seinen eigenen Leuten, da war er geachtet, denn als Wachtmeister musste er zwischen Gemeinen und Befehlshabern vermitteln, und er sorgte sich, dieser Aufgabe angemessen und gerecht nachzukommen. Auch wenn ihm das in den Wirren des Kriegsalltags mitunter recht schwer fiel.
Überhaupt sah er den Krieg inzwischen mit anderen Augen.Immer häufiger hörte man von Plünderungen der Bayerisch-Ligistischen Völker unter Tilly, und der greise Feldherr konnte oder wollte dem Treiben seiner Leute nicht Einhalt gebieten. Kein Wunder, dass darunter die Moral litt. Nicht nur die Soldaten, auch die Offiziere und Obristen wechselten die Fronten, wie es ihnen passte. Sogar Oberst von Arnim, den er fast so sehr verehrt hatte wie Wallenstein, gehörte zu diesen Verrätern. Nach einem siegreichen Scharmützel gegen die Schweden an Deutschlands Nordgrenze hatte Arnim im Frühjahr um seine Entlassung ersucht. Man munkelte, er sei zu den Heringfressern übergelaufen, an die Seite seines früheren Herrn Gustav Adolf. Er, Matthes, würde auf dem Schlachtfeld nicht zögern, ihn zu töten.
Längst hatte ihm der Krieg seine hässliche Seite offenbart und ihn zu einem Heimatlosen gemacht. Die Bande zu seiner Mutter, zu seinen Geschwistern schienen unwiderruflich gekappt. Was ihm blieb, war ein Leben im Wechsel von Ort zu Ort, von wochenlangem Hunger und plötzlichem Überfluss, von ausbleibendem Sold und unverhoffter Beute. Eher selten kam es zum Kampf, stattdessen schanzten, belagerten und marschierten sie, hungerten und froren. Oder starben an Fieber und tückischen Verletzungen. Er fragte sich, warum sie weiter metzelten, wo doch längst Friede hätte sein können.
Auch Wallenstein wollte den Frieden, das hatte er in Lübeck bewiesen. Der Generalissimus trat für die Libertät der Religionen ein, äußerte sich in aller Offenheit wider das kaiserliche Restitutionsedikt, denn er sah blutige Gegenwehr und weiteren Krieg voraus. Es hieß, mit seinen Äußerungen habe er sich am Kaiserhof und unter den katholischen Reichsfürsten viele Feinde gemacht, und Maximilian von Bayern streute das böse Gerücht, Wallenstein wolle sich selbst zum Kaiser machen.
Unruhig wälzte sich Matthes unter seiner schweren Decke. Aus der Stube waren jetzt Mädchenstimmen zu hören, hell und jung, bald ein unaufhörliches Kichern und Gackern, kleine spitzeSchreie, die Empörung vortäuschen sollten, wenn die Männer in ihren Annäherungen zu weit gingen. Matthes fragte sich, wie sich so viele Frauen für diese Dinge hergeben konnten, warum sie
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