Die Gauklerin
Truppen anzuwerben. Dann tobt der Krieg bald auch bei uns.»
«Nein, nein, nein.» Else schüttelte den Kopf. «So weit darf es nicht kommen.»
«Wird es aber.» Agnes starrte zu Boden. «Dieser Krieg ist wieein Waldbrand im Hochsommer: Hat man an einer Stelle die Flammen ausgetreten, lodern sie an andrer Stelle wieder auf. Es wird niemals aufhören.»
«Was für ein Mumpitz. Der Krieg hat einen Anfang, also hat er auch ein Ende.»
Die Kunde von ersten Scharmützeln zwischen kaiserlichen Söldnern und braven Bauern und Bürgern ließ nicht lange auf sich warten. Irgendwann hieß es sogar, beim Kampf um die ehrwürdige Klosterschule Blaubeuren habe es Tote gegeben.
Auf den Gassen und in den Wirtshäusern wurde über nichts anderes gesprochen. Diejenigen, die zu Zurückhaltung und Friedfertigkeit mahnten, wurden immer weniger, die Gemüter der Übrigen immer hitziger.
«Gehen wir zurück ins Schloss», schlug Rudolf vor. Agnes nickte. Ein Handgemenge in der Hirschgasse, in das Rudolf ums Haar hineingezogen worden wäre, hatte ihr die Lust am Abendspaziergang vergällt.
Vor der Hofpfisterei kam ihnen Franz entgegen.
«Agnes! Der Torwächter schickt nach dir. Vor dem Esslinger Tor steht ein Fremder und will zu dir. Der Wächter lässt ihn nicht ein, weil er aussieht wie ein Söldner.»
«Matthes!»
«Dein Bruder?» Rudolf runzelte die Stirn.
Agnes sah ihn verwirrt an. «Vielleicht. Ich muss sofort los.»
«Warte. Ich werde dich begleiten. Das könnte auch sonst wer sein.»
«Es ist besser, ich gehe allein.»
Sie schürzte ihren Rock und rannte los, ohne weiter auf Rudolf zu achten. Die Hitze und der Gestank des Unrats raubten ihr schier den Atem, als sie im Laufschritt die Esslinger Vorstadt durchquerte. Vor dem Torhaus stellte sich ihr der Wächter in den Weg. Sie kannte ihn flüchtig.
«Der Bursche da draußen behauptet, Euer Bruder zu sein.»
«Wenn er sich Matthes Marx nennt, ist er es auch.»
Der Wächter zuckte die Schultern. «Ihr wisst, dass ich ohne Legitimation keine Fremden einlassen darf, schon gar nicht, wenn sie bis an die Zähne bewaffnet sind.»
«Dann lasst mich zu ihm.»
«Gut. Auf Eure Verantwortung.»
Agnes drückte sich an ihm vorbei und überquerte den Stadtgraben. Gegen die Abendsonne sah sie auf der Obstwiese die Silhouette eines hoch gewachsenen, breitschultrigen Mannes. Er ließ sein Pferd am langen Zügel grasen. Als sie näher kam, bemerkte sie, dass das Tier schweißüberströmt war.
«Matthes?», rief sie leise.
Der Mann wandte sich um und schritt bedächtig auf sie zu. Es war ihr Bruder, und doch war er es wieder nicht. Zehn Jahre standen dazwischen. Aus dem fünfzehnjährigen Knaben war ein gestandener Mann geworden. Sein Körper wirkte kraftvoll und stark, nur die eingefallenen Wangen in dem schmalen Gesicht verrieten, dass er auch lange Zeiten der Entbehrungen durchgemacht haben mochte. Das dunkle, halblange Haar, das ihm wirr ins Gesicht fiel, und der schwarze Vollbart verliehen ihm etwas Wildes, Verwegenes. Dazu das waffenstarrende Bandelier, das er um den Leib geschnallt trug, und sie konnte verstehen, warum man ihn nicht in die Stadt gelassen hatte.
«Du bist tatsächlich gekommen.»
Er nickte nur und sah verlegen zu Boden. Sie hätte ihn gern umarmt, doch nicht nur das schwere Wehrgehenk hielt sie davon ab.
«Gehen wir ein Stück.» Seine Stimme hatte einen tiefen Klang. «Das Pferd muss trocken geführt werden, sonst wird es krank.»
Sie nahmen einen Pfad stadtauswärts und marschierten schweigend nebeneinander her. Endlich fragte Matthes: «Was weißt du von Mutter und Jakob?»
Agnes berichtete von den Neuigkeiten aus Jakobs letztem Brief, dann blieb sie stehen. «Es ist schrecklich, was mit deinem Freund geschehen ist.»
Wieder nickte er nur. Trauer konnte Agnes in seinen Augen keine entdecken, sie blickten starr, beinahe hart. Das Unbändige, Ungestüme schien aus seinem Wesen gänzlich verschwunden, nichts verriet mehr die Abenteuerlust des Fünfzehnjährigen. Matthes schien nicht um zehn, er schien um zwanzig Jahre gealtert.
«Du musst hungrig sein», sagte sie.
«Weniger hungrig als durstig. Meine Wasserflasche ist leer.»
«Dann komm. Ich kenne eine behagliche Schenke, in der du auch dein Pferd unterstellen kannst.»
Es kostete Agnes einige Überredungskunst, bis der Torwächter ihren Bruder in die Stadt ließ. Matthes musste Waffen und Munition ablegen und sein Wort geben, sich nur in der Vorstadt aufzuhalten sowie rechtzeitig bei
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