Die Gauklerin
Gottesdienst in Sankt Martin nachgehen, und der Herzog bezahlte, wo die Kontributionen nicht ausreichten, den Sold und die Verpflegung seiner Leute auf Heller und Pfennig selbst aus den Erträgen seiner florierenden friedländischen Güter. So brachte die Besatzung den Memmingern keine Nachteile, sondern ein gutes Geschäft, und es schien fast, als könnten sie die Ankunft Wallensteins kaum erwarten.
Mundart und Lebensart der Menschen erinnerten Matthes an Ravensburg, und er begann sich beinahe heimisch zu fühlen. Er streifte durch die Gassen oder galoppierte auf seinem Fuchs durch das nahe Ried. Hin und wieder nahm er sich Carl zur Gesellschaft mit, dann nämlich, wenn sich eine leise Wehmut in sein Gemüt schlich, wenn ihm bewusst wurde, wie nahe er doch auf einmal seiner Heimatstadt gekommen war. In solchenAugenblicken haderte er mit sich, ob er sich nicht für einige Tage freistellen lassen sollte, um nach Ravensburg zu reiten. Doch er brachte es nicht über sich. Stattdessen zog er mit seinem Corporal durch die Schenken der Ulmer Vorstadt und ertränkte sein Heimweh in Starkbier und Branntwein.
Anfang Juni schließlich, die Tage waren bereits ungewöhnlich heiß, kündete eine Depesche aus Nürnberg an, Wallenstein werde mit seinem Hofstaat samt kroatischer Reiterei und siebenhundert Pferden in wenigen Tagen eintreffen. Eilig berief Oberst von Ossa seine Befehlshaber in die Stube des Goldenen Löwen, des Weinhauses der Stadt, um den Empfang gebührend vorzubereiten und die Aufgaben zu verteilen.
«Schafft als Erstes die einfachen Söldner auf die umliegenden Dörfer, ebenso sämtlichen Pferde- und Viehbestand der Stadtbürger. Der Generalissimus wird im Fuggerbau residieren. Der muss hergerichtet werden, und weitere Quartiere sind zu schaffen. Der Magistrat soll die Bürger zur Reinhaltung der Häuser und Gassen zwingen und die üblichen Verhaltensregeln ausrufen lassen. Vor allen Dingen sollen sie sich nicht unnötig in den Gassen drängeln, wenn der Herzog und sein Gefolge ein- und ausfahren.»
De Paradas Kompanie hatte für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Matthes oblag dabei die Kontrolle der nächtlichen Ausgangssperre ab der neunten Stunde, von der nur die Offiziere und Wallensteins Gäste ausgenommen waren. Um dem Bedürfnis des Herzogs nach unbedingter Ruhe Rechnung zu tragen, sollten wie üblich die Gassen rund um sein Stadtpalais mit frischem, sauberem Stroh bedeckt sein, die Tor- und Ratsglocken abgestellt und den Nachtwächtern bei Turmstrafe das Ausrufen der Stunden untersagt werden. Westertor und Lindauer Tor hätten während Wallensteins Aufenthalt geschlossen zu bleiben, um den Fuhrverkehr zu unterbinden, desgleichen mussten im Umkreis von Ross- und Weinmarkt sämtliche Hofhunde und Hähne entfernt werden.
Am Abend des 9. Juni rückte der Friedländer von Ulm her an. Der Einzug überstieg alle Erwartungen: Dreißig rotgepolsterte Karossen, vierspännig, sechsspännig, achtspännig, rollten durch das Niederngasserntor, flankiert von der hundertköpfigen Leibgarde unter Piccolomini, silberbestickte Fahnen flatterten im Nachtwind. Am Morgen dann noch einmal siebzehn Staatskarossen, vierundzwanzig Kutschen, sechzig Packwagen und zwei rotgoldene Sänften. Dazwischen das Ulmer Gastgeschenk: zehn ungarische Ochsen, hundert Hammel, zwölf Mastkälber und ein Fuhrwerk voller Rebhühner, der Leibspeise des Feldherrn. Entgegen allen Anweisungen säumten die Memminger die Straßen und Gassen, drängten sich an die Häuserwände, die sie mit Blumengirlanden und grünen Maien zum Willkommen geschmückt hatten.
Es dauerte bis in den späten Nachmittag, bis alles untergebracht, versorgt, verstaut war. Sechshundert Pferde und siebenhundert Mann meldete Oberst von Ossa schließlich dem Magistrat. Unter dem Gefolge befanden sich sechs Fürsten und weit über hundert Edelleute. Die Sonne stand tief, als der Generalissimus sich endlich an einem der Erkerfenster des Fuggerbaus zeigte. Weit lehnte er sich heraus, hob vor den versammelten Ratsherren und Offizieren – gemeines Volk war auf dem Schweizerberg von diesem Tag an nicht mehr zugelassen – die Hand zum Gruße. Krank sieht er aus, dachte Matthes, und abgemagert, die Gesichtsfarbe von ungesundem Gelb.
«Die Kur in Karlsbad scheint nicht viel ausgerichtet zu haben», flüsterte Carl mit unbewegter Miene. Er hatte, wie alle anderen, Haltung angenommen und salutierte. «Ich hab gehört, dass er von Gitschin nach Karlsbad in der Sänfte getragen werden
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