Die Gauklerin
Torschluss zurück zu sein.
Beim Schellenwirt bestellten sie Bier, Brot und Käse. Matthes vertilgte alles blitzschnell, um anschließend noch ein Krüglein Branntwein zu ordern. Seine Züge entspannten sich.
«Wie geht es deinem Jungen?»
«Er ist gesund, kräftig und reichlich fürwitzig.» Agnes lachte. «Ich hoffe, er richtet heute Abend keine Dummheiten an, wo ich nicht bei ihm bin.»
«Ich möchte ihn sehen.»
«Es ist spät, und ich darf dich nicht ins Schloss mitnehmen. Wann musst du zurückreiten?»
«Morgen früh.»
«Dann komme ich morgen mit David zum Esslinger Tor. Gleich zur siebten Stunde. Ach herrje – und wo wirst du schlafen? Doch nicht etwa auf freiem Feld?»
Matthes lächelte zum ersten Mal.
«Darum musst du dir die geringsten Sorgen machen. Als Soldatbin ich –» Er unterbrach sich mitten im Satz. «Verzeih, ich wollte nicht damit anfangen. Wollte nicht über diesen Krieg reden. Erzähl mir von David. Was mag er am liebsten?»
Viel zu rasch verging die Zeit. Der Nachtwächter rief zur neunten Stunde, und so traten sie hinaus in die einbrechende Nacht.
«Bis morgen früh.» Agnes nahm seine beiden Hände und drückte sie fest. «Ich bin so froh, dass du gekommen bist.»
«Ich auch. Und ich freue mich, meinen Neffen kennen zu lernen.»
«Matthes?»
«Ja?«
«Falls du jemals Kaspar begegnen solltest – sag ihm, dass er einen Sohn hat. Und dass David oft von seinem Vater spricht.»
«Ich – ich bin ihm längst begegnet.»
Agnes ließ jäh seine Hände los. «Wann?»
«Das ist schon fünf Jahre her. Agnes, ich kann dir nur eins sagen: Du musst den Kerl vergessen.»
Die Sonne hatte sich noch nicht über die Hügel erhoben, da stand Matthes bereits am Graben vor dem Esslinger Tor. Der Wächter ließ ihn über die Brücke und begrüßte ihn um Einiges freundlicher als am Vortag.
«Ihr seid viel zu früh. Eure Schwester liegt sicherlich noch in seligem Schlaf. Habt Ihr Lust auf ein Spielchen?»
«Warum nicht?»
Matthes band sein Pferd an einen Mauerring und hockte sich zu dem Mann auf den Boden.
«Drei Kreuzer Einsatz?» Der Wächter schüttelte den Würfelbecher.
«Einverstanden.»
Matthes war nicht bei der Sache, und so hatte er seinen Einsatz bald verloren. Hätte er nur sein Maul gehalten wegen Kaspar. Er hätte seiner Schwester das alles liebend gern erspart. Andererseits– war die Wahrheit in ihrer Lage nicht allemal besser als jede falsche Hoffnung?
«Guten Morgen!»
Agnes stand vor ihm, müde zwar, aber mit einem Lächeln im Gesicht. An ihrer Hand der achtjährige David, der jetzt verlegen grinste.
Matthes stand auf und reichte dem Jungen die Hand.
«Ich bin Matthes, dein Oheim.»
«Ich weiß. Du bist Soldat wie mein Vater. Stimmt es, dass du für unsere Feinde kämpfst?»
Matthes zuckte zusammen. Dann strich er David übers Haar. Im Äußeren glich der Junge seiner Mutter nur wenig, am ehesten noch um den Mund, dessen geschwungene Lippen wie bei Agnes einen kecken, leicht spöttischen Zug hatten. Das dichte, hellbraune Haar und die hellen Augen stammten eindeutig von seinem nichtsnutzigen Vater.
Matthes warf einen Seitenblick auf Agnes. «Der Kaiser ist nicht euer Feind. Möchtest du auf meinem Pferd reiten?»
«Ja!»
«Dann komm.»
Er nahm seinen Neffen bei der Schulter und führte ihn zu seinem Fuchs. Fachmännisch begutachtete David das Pferd, dem er gerade mal bis zur Brust reichte.
«Was für einen hübschen Kopf es hat. Und die vier weißen Stiefel zu dem hellroten Fell. Wie heißt es?»
Matthes sah ihn verdutzt an. Er hatte seine Pferde nie anders als nach ihrer Farbe benannt, Schimmel sein erstes, dieses hier mal Fuchs, mal Roter. Er hob David in den Sattel.
«David – er heißt David, nach dir.»
«Ist das wahr?
Maman
, hast du gehört? Das Pferd heißt David, genau wie ich!»
«Unglaublich.» Agnes zwinkerte ihrem Bruder zu. «Das wird doch kein Zufall sein.»
«Nein. Ich habe es nach deinem Sohn benannt.» Kein schlechter Name für dich, mein Schöner, dachte er und klopfte dem Pferd den Hals. Dann band er es los.
«Hier, nimm die Zügel und reite im Schritt neben uns her. Solange du nicht grob mit ihm bist, macht er alles, was du willst.»
Er wandte sich Agnes zu. «Es ist spät und ich muss allmählich aufbrechen. Begleitet ihr mich ein Stück durch die Obstwiesen?»
«Gern.» Ihre Stimme klang rau.
Der Torwächter schüttelte ihm zum Abschied grinsend die Hand. «Gebe Gott, dass ich niemals mein Tor gegen Euch verteidigen
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