Die Gauklerin
Reiterschnellpost, die die kaiserliche Reichspost in den Schatten stellen würde. An nichts sollte es den Herren und Knechten in seinem Land fehlen.
19
Die Erfolge des Löwen aus Mitternacht gaben den Württembergern wieder Zuversicht. Gleich nach der Einnahme von Wolgast und Stettin in der nordöstlichen Ecke des Reiches verkündete der Schwedenkönig den wenigen Bauern, die in diesen verheerten und verwüsteten Landen ausgeharrt hatten, er sei über die Ostsee gekommen, um sie zu beschützen in ihrem Glauben und zu retten und erhalten ihr Augsburger Bekenntnis. Als Nächstes eroberte er das Herzogtum Mecklenburg, das der abgehalfterte Feldherr Wallenstein einst an sich gerissen hatte, und die Bewohner waren aufgefordert, Wallensteins Beamte und Ministerialen ohne Gnade totzuschlagen.
Dem Schwedenkönig ging der Ruf voraus, ein kluger, gerechter Regent zu sein und als Soldat ebenso streitlustig wie fromm. Sein Heer war klein, doch straff organisiert. Seite an Seite mit schwedischen Bauern und Handwerkern kämpften Livländer, Dänen und Kurländer, die kleinen, starken Finnen, die in ihrer Heimat mit bloßem Dolch Bären jagten, und die dunklen Lappen mit Pfeil und Bogen. Doch anders als Tillys zusammengewürfelte Landsknechtshaufen kämpften die nördlichen Völker allesamt mit Wagemut und hoher Disziplin für ihre Krone und ihren lutherischen Glauben. Obendrein hieß es, der französische Kardinal Richelieu mische inzwischen mit mächtiger Hand im Kriegstheater mit, gebe dem Schwedenkönig Gelder, verspreche Truppen. Ganz offensichtlich sah Richelieu mit den Schweden die Gelegenheit gekommen, am Thron der verhassten Habsburger zu sägen. Ob protestantisch oder katholisch, das war für den Kirchenfürsten zweitrangig.
Für die Menschen im Herzogtum Württemberg zählte etwas anderes: Mit einer erstarkten protestantischen Partei und mit Gustav Adolfs Hilfe mochte es gelingen, die fremden Kuttenträger wieder aus dem Land zu jagen. Ganz plötzlich nämlich hattesich auch der Kurfürst von Sachsen wieder auf seinen lutherischen Glauben besonnen und die protestantischen Fürsten und Stände zu einem Konvent nach Leipzig einberufen lassen. Dort begrub man alle Streitigkeiten und verfasste eine Erklärung, in der der Verfall fürstlicher Rechte und die Missachtung der Verfassung seitens des Wiener Hofes beklagt wurden. Dem Kaiser seien Quartiere und Kontributionen künftig zu verweigern, jedem Landesherrn stehe es frei, zu seinem Schutz Truppen aufzustellen.
«Ich fürchte», sagte Rudolf mit besorgter Miene, «jetzt wird es ernst. Auch für uns hier.»
Er hatte in Agnes’ Kammer ein Kaminfeuer entfacht, um die Kälte dieses unwirtlichen Apriltages zu vertreiben. Agnes sah ihn erstaunt an. Rudolf war nicht der Mann, der sich von jedem Gerücht gleich ins Bockshorn jagen ließ. Und nun redete er nur noch von Politik und sah schwarz. Plötzlich packte er sie am Arm.
«Lass uns heiraten, Agnes. Ich flehe dich an.»
Sie biss sich auf die Lippen. In letzter Zeit hatten sie mehr und mehr ihre freie Zeit miteinander verbracht, waren sich vertrauter denn je geworden. Außerdem kümmerte er sich rührend um David. Rudolf war ein guter Mann. Kaspar war es nicht gewesen.
Kaspar. Erst vergangene Nacht hatte sie wieder von ihm geträumt. Dabei verachtete sie diesen Feigling. Aber vergessen konnte sie ihn nicht.
Unsicher strich sie über Rudolfs Hand. «Gib mir Zeit.»
Leider Gottes sollte Rudolf Recht behalten. Der neue württembergische Regent Julius Friedrich, Bruder und Nachfolger des kürzlich verstorbenen Ludwig Friedrich, hatte die für ihn so fruchtlose Politik der Neutralität aufgegeben und ein Heer aufstellen lassen. Tausende junger und nicht mehr ganz so junger Burschen aus ganz Württemberg hatten daraufhin die Stuben der Werber gestürmt und ließen sich nun an Pike und Muskete ausbilden.
Agnes war bestürzt über diese Entwicklung, zumal der Gärtnerbursche Franz einer der Ersten war, die sich in die Musterrolle hatten eintragen lassen. Auch wenn offiziell verlautbart wurde, die Rüstungen seien ausdrücklich für den Verteidigungsfall gedacht und nicht gegen den Kaiser gerichtet, in dessen Devotion man getreulich verbleiben wolle, wurde das Kriegsgeschrei gegen die Katholischen landauf, landab immer lauter. Das kämpferische Feuer, das allenthalben aufflammte, das Geblöke und Geschrei in jeder Kaschemme, vor jedem Marktstand, widerte Agnes mehr und mehr an. Sie wagte sogar zu äußern, wenn auch nur
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