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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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kaum so lange gedauert hatte, wie die Kirschen reifen.
    Schmachvoll kehrte Julius Friedrich heim in seine Residenz. Heim kehrte auch der Gärtnerbursche Franz, in einer schmucklosen Kiste, mit zerfetztem Leib. Er war nicht der Einzige, der noch im letzten Augenblick bei Tübingen sein Leben gelassen hatte. Drei Wagenfuhren voller Särge, mit schwarzen Tüchern bedeckt, rollten auf den Hoppenlaufriedhof draußen vor dem Büchsentor.
    Agnes konnte es nicht fassen, dass der liebe, schmächtige Kerl nie mehr neben ihr in den Beetreihen kauern sollte. Sie zwang David, sie zur Bestattung zu begleiten, und als der Sarg ins Erdreich gesenkt wurde, sagte sie:
    «Schau genau hin! Da unten liegt der Franz, der dir im Juni Erdbeeren geschenkt hat und im Herbst Äpfel und Birnen. Der jede Pflanze zum Blühen gebracht hat. Jetzt liegt er dort, totgeschossen für nichts und wieder nichts.»
     
    Für den Rest des Sommers blieb es ruhig im Land. Dennoch sorgte sich Agnes um ihre Mutter und ihren Bruder. Viel zu lange hatte sie nichts mehr gehört von ihnen, und aus dem Oberschwäbischen flossen die Nachrichten spärlich. Sie wusste nur, dass eine kaiserliche Kompanie nach der anderen dort durch die Lande zog, mal waren es die Reiter Isolanis, mal kroatische Artillerie. Ihr blieb nichts übrig, als zu warten und zu beten, dass ihrer Familie nichts zugestoßen war. An Kaspar zu denken verbot sie sich dagegen. Nie wieder wollte sie an diesen elenden Windbeutel einen Gedanken verschwenden.
    Es war ein trüber, windiger Tag Ende August, als sie von einem Botengang für die Prinzessin kam und auf dem Rückweg David von der Knabenschule abholte. Schon während sie beide die Dienstbotentreppe emporstiegen, hörten sie von oben gedämpfte Männerstimmen, die Tür zu ihrer Kammer stand offen.
    Agnes erstarrte. Das konnte nicht wahr sein. Mit einem Aufschrei stürzte sie ins Zimmer.
    «Jakob!»
    Dann fiel sie ihrem Bruder in die Arme und begann vor Freude und Überraschung zu weinen.
    «Wie geht es Mutter?», fragte sie, als sie sich gefasst hatte.
    Jakob wischte sich über die Augen und grinste. «Sei leise, sie schläft.»
    Sie fuhr herum und sah die Gestalt in Davids Bett.
    «Mutter», flüsterte sie heiser und trat an das Bett.
    Da räusperte sich Rudolf. «Verzeih mir, Agnes, dass ich die beiden einfach in dein Zimmer geführt habe. Sie waren so erschöpft von der langen Reise.»
    Agnes gab ihm einen Kuss auf die Wange. «Das hast du recht getan. Danke!»
    Dann wandte sie sich wieder ihrem Bruder zu. Das blonde Haar, jetzt nach den Sommermonaten noch heller als sonst, klebte ihm auf der verschmutzten Stirn, das schmale Gesicht sah müde aus. Doch Jakobs Augen leuchteten.
    Noch immer konnte es Agnes nicht fassen.
    «Wer sind die Leute?», fragte David leise.
    Jakob lachte und ging vor dem Jungen in die Knie.
    «Die Frau, die in deinem Bett schläft, ist deine Ahn. Und ich bin der Bruder deiner Mutter.»
    «Dann bist du auch der Bruder von meinem Oheim Matthes», stellte David sachlich fest.
    «Ganz recht.» Jakob strich ihm durchs Haar.
    «Du siehst aber ganz anders aus. Mein Oheim Matthes ist ein richtiger Soldat, mit Waffen und Pferd, wenn auch bei den Papisten. Du bist kein Soldat, nicht wahr?»
    «Nein.» Ein Anflug von Röte zog über Jakobs Wangen. «Ich bin Wundarzt.»
    Er richtete sich wieder auf und blickte zu Agnes. «Können wir ein paar Schritte gehen und reden? Ich möchte Mutter nicht aufwecken.»
    «Nicht nötig, ich bin schon wach.»
    Marthe-Marie saß aufrecht auf der Bettkante. Ihr Haar, das ihr lang über die Schultern fiel, war inzwischen schlohweiß, doch mit ihren immer noch feinen Zügen strahlte sie Würde und Schönheit aus.
    Agnes setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. «Ich kann es nicht glauben, dass ihr hier seid.»
    «Ich auch nicht.» Ihre Mutter lächelte. Doch es stand nicht nur Freude in ihren dunklen Augen. «David, komm einmal her zu deiner Großmutter.»
    Scheu näherte sich der Junge ihr.
    «Wie alt bist du jetzt?»
    «Neun.»
    «Gefällt es dir in der Schule?»
    David verzog das Gesicht. «Nur Lesen und Schreiben. Das andere ist langweilig.»
    «Aber du hast doch sicher viele Freunde in der Schule?»
    «In der Schule nicht, aber hier im Schloss.»
    «Und was willst du werden, wenn du groß bist?»
    Die Antwort kam ohne Zögern. «Kammerdiener. Oder Kürassier.»
    Rudolf lachte laut auf. «Der Diener zieht sich jetzt zurück. Soll ich im Frauenzimmer Bescheid geben, dass deine Mutter angekommen

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