Die Geächteten
Sie hörte auf damit, Grün zu tragen, weil »Cole sagt, dann sieht meine Haut bleich aus«, und Romane zu lesen, weil »Cole sagt, es verschmutzt den Geist mit Unsinn«. Sie gab ihren Halbtagsjob als Lehrhilfe auf, weil »Cole sagt, der Platz einer Frau ist in der Familie«.
Hannah behielt ihre wachsende Abneigung gegen Cole für sich; sie hoffte, dass Beccas Inbrunst abkühlen würde, wenn es ihrem Vater erst wieder besser ginge und dieser womöglich Coles wahren Charakter erkennen und ihrer Schwester ausreden würde, ihn zu heiraten. In der Zwischenzeit versuchte Hannah ihm gegenüber herzlich zu sein und achtete darauf, ihn nicht direkt herauszufordern oder Becca ihre Zweifel kundzutun. Konfrontation war nicht der richtige Weg, um ihn zu besiegen, besser sie ließ die Zeit für sich arbeiten, um ihn bloßzustellen.
Doch sie überschätzte sowohl ihre Fähigkeiten als Schauspielerin als auch ihre Geduld, wie sie an Beccas Geburtstag feststellte. Ihr Vater war mittlerweile seit zwei Wochen zu Hause, aber er war immer noch schwach. Deshalb sollte die Feier im Familienkreis stattfinden – mit Cole natürlich.
Hannah nähte ihrer Schwester ein Kleid aus weicher lavendelfarbener Wolle, und ihre Eltern kauften ihr ein kleines Paar Opalohrringe, die zu dem Kreuz passten, das sie ihr ein Jahr zuvor geschenkt hatten.
»Oh, wie hübsch!«, rief sie, als sie die Samtschachtel öffnete.
»Lass mich sie an dir sehen!«, sagte ihr Vater.
Becca erstarrte und warf Cole einen schuldbewussten Blick zu.
»Nun mach schon, Becca«, drängte Hannah. »Probier sie an!«
Unsicher steckte sich Becca die Ohrringe an.
»Sie sehen einfach wunderschön an dir aus«, bemerkte ihre Mutter.
»Ja, das ist wahr«, stimmte Hannah zu. »Siehst du das anders, Cole?«
Er starrte Becca mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck einige Sekunden lang an. »Ich persönlich finde, Becca braucht keinen zusätzlichen Schmuck, um schön auszusehen«, sagte er mit dem Hauch eines Lächelns. »Aber trotzdem, sie sind sehr schön.«
Nachdem Cole gegangen war, trieb Hannah ihre Schwester in der Küche in die Enge. »Was war das vorhin?«
Becca zuckte angespannt mit den Achseln. »Cole sagt, den einzigen Schmuck, den eine Frau außer einem Kreuz tragen sollte, ist ihr Ehering.«
Hannahs Abneigung gegen Cole erreichte in diesem Moment ihren Höhepunkt. Mehr noch als seine Ansichten missfielen ihr sein Absolutheitsanspruch und die Scheinheiligkeit, die dahintersteckte. »Aber es ist absolut in Ordnung, dass er solche großen funkelnden Gürtelschnallen und türkisfarbene Cowboykrawatten trägt.«
»Das ist bei Männern etwas anderes«, sagte Becca. »Das weißt du.«
Es war etwas anderes, und Hannah war ausreichend gut informiert, um auch die Gründe dafür zu kennen. Sicher, Doppelmoral hatte sie immer gestört. Doch bezogen auf Cole Crenshaw machte sie diese wütend. »Nein, das weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, Cole wird mir darüber einen langen Vortrag halten.«
»Ich weiß, warum du ihn nicht magst«, sagte Becca schonungslos. »Du bist eifersüchtig, weil ich einen Mann in meinem Leben habe und du nicht.«
»Hat Cole das gesagt?«
Becca verschränkte die Arme vor der Brust. »Denk ja nicht, er hat in den vergangenen Monaten deine Kühle ihm gegenüber nicht bemerkt. Es verletzt seine Gefühle, und es verletzt meine.«
»Das tut mir leid, Becca. Ich habe mich bemüht, ihn zu mögen, aber …«
»Ich will das nicht hören«, sagte Becca und wandte sich ab. »Ich liebe ihn, und ich möchte mein Leben mit ihm verbringen. Kannst du dich nicht einfach für mich freuen?«
Und damit war die Sache erledigt. Becca würde Cole heiraten, sobald ihr Vater in der Lage war, sie zum Altar zu führen. Hannah nähte das Hochzeitskleid für ihre Schwester und stand mit einem Strauß Sumpf-Calla an ihrer Seite, während diese schwor, Cole Crenshaw zu lieben, zu ehren und ihm zu gehorchen bis in alle Ewigkeit. Und dann war sie fort. Sie und Cole lebten nur einige Kilometer weiter, aber sie hätten genauso gut nach Maine ziehen können. Hannah versuchte, sich ihm gegenüber, wo er doch nun ihr Schwager war, freundlich zu benehmen, aber es hatte keinen Sinn. Der Schaden war nicht wiedergutzumachen. Auf familiären Ereignissen sahen sich die Schwestern, und selbst dann sorgte Cole dafür, dass sie nur wenig Zeit miteinander verbrachten. Becca fehlte Hannah sehr. So unterschiedlich die beiden auch waren, sie hatten immer ein herzliches Verhältnis
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