Die Gebeine von Avalon
sich im Traum bei jedem meiner Schritte um meine Füße und Knöchel, während ich, angelockt vom weitentfernten Läuten einer Kirchenglocke, endlos über die Hügel Glastonburys wanderte.
Aber in diesem Traum konnte ich die Kirche einfach nie erreichen. Wenn ich glaubte, bei ihr angelangt zu sein, war alles, was ich vorfand, ein verhallendes Echo, in das sich das Krächzen von Krähen mischte. Und die Insektenmenschen krochen weiter schnatternd über meine Stiefel, und manche von ihnen hatten winzige Äxte, mit denen sie auf mich einhackten, sodass meine Füße ganz zerstochen und wund waren, und dann hörte ich, wie die Glocken des weitentfernten Kirchturmes wieder zu läuten begannen, und wenn ich mich dorthin aufmachte, wiederholte sich alles.
So ging es bis zum Morgengrauen.
Ich entdeckte Sir Peter Carew mit einer Flasche Cider in der Schankstube, wo es noch immer nach den Ausschweifungen der letzten Nacht und nach Erbrochenem stank. Als ich die Gelegenheit ergriff, ihm mein Anliegen vorzutragen, sagte er nur, er hoffe, mich eines Tages im Tollhaus wiederzufinden.
«Ist das Eure Art,
nein
zu sagen, Sir Peter?»
Carew rieb sich mit der Handfläche über die raue Kante seiner anderen Hand und ballte sie dann langsam zur Faust, womit er anscheinend andeuten wollte, dass er sich durchaus noch eine deutlichere Art vorstellen konnte. Wir würden wohl niemals gute Freunde werden. Vielleicht hatte er die Zeichen der Zeit erkannt. Alles stand dafür, dass die Jahrhunderte währende Vorherrschaft des Kriegers nun zu Ende ging und an seine Stelle der Gelehrte trat. Aber noch nicht zu
seinen
Lebzeiten. Auf gar keinen Fall. Für Carew war jeder Mann, der an Gewalttätigkeiten keinen Gefallen fand, eine Memme.
Diesmal ließ ich aber nicht locker.
«Ihr müsst nichts weiter tun, außer meine Ankunft in Wells vorzubereiten und dafür sorgen, dass ich mit der Angeklagten sprechen kann», ließ ich ihn wissen.
«Bei Gott, Ihr seid ein verdammter –» Carew schaute zur Tür, wo Dudley stand und sich die Augen rieb. «Sagt
Ihr
es ihm. Erklärt ihm, wie verrückt es ist, sich wegen dieser Hexe mit Fyche anzulegen.»
«Er steht in den Diensten der Königin», entgegnete Dudley. «Nicht in denen von Fyche. Und nicht einmal in den Euren.»
«Er ist ein verdammter Zauberer!»
«Selbst wenn das der Wahrheit entspräche, dann ist er immer noch der verdammte Zauberer der Königin. Also, wenn ich an Eurer Stelle wäre – möge Gott verhüten, dass es jemals so weit kommt –, würde ich sein Vorhaben lieber unterstützen.»
«Ich soll also Fyche erzählen, dass mein
Freund
von der
Kommission für Altertümer
es für seine Aufgabe hält, die Frau zu verteidigen, die wegen Mordes an dem Bediensteten seines Kollegen angeklagt ist?»
Dudley lächelte müde.
«Trefft die Vorkehrungen. Was spricht dagegen?»
Carew hatte sich erhoben und schüttelte den Kopf.
«In Ordnung. Ich helfe Euch. Ich helfe Euch, Euren Irrtum zu erkennen. Ich werde Euch und dem Zauberer zeigen, was Ihr da in Wahrheit verteidigen wollt.»
†
Bei seinen Bemühungen, mir einen Schafspelz zu verkaufen, hatte der Knochenhändler Benlow behauptet, dass uns die kälteste Zeit des Winters erst noch bevorstand. Aber dieser Morgen war bestens geeignet, seine Vorhersage zu widerlegen. Die Sonne schien wärmer als an jedem anderen Tag dieses Jahres, und am Wegesrand trieben die Dichternarzissen Knospen. Es schien, als sei der Gewittersturm weniger ein Zeichen des Zorns Gottes gewesen, sondern vielmehr der Vorbote eines frühen Frühlings, der fröhliche Geist eines längst verflossenen Maientags, der in der Ödnis des Februars tanzte.
Ob ich das Gefühl hatte, dass Eleanor Borrow bei mir war, als ich mich ihrem Kräutergarten näherte? Ob ich in dieser Hügellandschaft ihre Gegenwart spürte? Um die Wahrheit zu sagen, mittlerweile spürte ich ihre Gegenwart überall, ganz so als wäre sie zur Seele dieser merkwürdigen Stadt geworden.
Wir hatten vom Gasthof bis hierher nicht länger als zehn Minuten gebraucht. Einmal über die Straße, hin zum Stadtrand, dann über einen Zauntritt, um dahinter einem matschigen Pfad über den Hang des langgezogenen Hügels zu folgen, der wie ein schützender Arm vor der Stadt lag. Nun stand ich vor einem Gartentor und schaute mir das Gelände an, das rundherum von einer Hecke umwachsen war. Zur einen Seite floss ein schneller Strom. Seine überwiegend trockenen Nebenarme sahen aus, als wären sie fein säuberlich auf
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