Die Gebeine von Avalon
ich bezweifelte, dass er an Einhörner glaubte.
«Das kommt darauf an», sagte er, «für wie tot man Artus hält.»
†
Ich begriff, dass er auf das Grab anspielte, das man in der Abtei von Glastonbury zur Regierungszeit eines anderen Heinrich, nämlich Heinrich Plantagenets oder Heinrichs II ., entdeckt hatte. Die Geschichte hatte ich gerade noch einmal in der Nacht zuvor in den Schriften von Giraldus Cambrensis nachgelesen, einem Landsmann meines Vaters.
Im Jahre 1191 hatte eine Ausgrabung auf dem Gelände der Glastonbury Abbey eine Steinplatte mit einem Bleikreuz darauf zutage gefördert, auf der stand, dass dies die letzte Ruhestätte des berühmten König Artus sei. Fast neun Fuß darunter fand sich ein Eichensarg in der Erde, in dem die Gebeine eines ungewöhnlich großen Mannes und ein kleineres, vermutlich weibliches Skelett lagen. Dazu eine Locke blonden Haares, die zu Staub zerfiel, als die Mönche sie herausholen wollten.
Guinevere.
Und, ja, ganz recht, die
Mönche
fanden das Grab. Artus war genau in dem Augenblick von den Toten wiederauferstanden, als die Mönche ihn am dringendsten brauchten.
«Das Kloster benötigte Geld», rief Cecil mir ins Gedächtnis. «Viel Geld. In der Abtei hatte kürzlich ein zerstörerisches Feuer gewütet. Im zwölften Jahrhundert waren die Sagen über Artus und seine Tafelrunde sehr beliebt. Jedes Kind kannte sie. Nichts hätte Glastonbury mehr Ruhm und Pilgerströme eingebracht als die Gebeine von Artus.»
Natürlich sagten viele, dass das Grab nicht echt und dessen angebliche Entdeckung nichts als eine Lügengeschichte sei. Und zwar eine Lüge, die auch dem König half, die Hoffnungen der aufständischen Waliser zu zerstören.
«Mit den Knochen», sagte ich, «ließ sich wunderbar beweisen, dass Artus keinesfalls zurückkehren würde.»
«In der Tat. Fast hundert Jahre später verfrachtete man die Gebeine in eine Gruft aus schwarzem Marmor vor dem Hauptaltar der wiederaufgebauten Abtei. Nachdem Edward I. sie sich angesehen hatte. Der hatte gerade vorher eine erneute Rebellion der Waliser mühevoll niedergeschlagen und verbreitete bestimmt auch seinerseits mit Freuden, dass Artus tot sei.»
«Welcher englische König täte das nicht gern?»
«Ah.» Cecil erhob sich und ging hinüber zu den breiten Fenstern. «Genau das ist der springende Punkt.»
«Die Tudors?»
Der Himmel über dem Fluss war wolkenlos; heute Nacht würde es wieder frieren. Ich begriff langsam vage die Zusammenhänge. Für einen normannischen König waren Beweise dafür, dass Artus tatsächlich tot war, äußerst vorteilhaft, weil die Waliser so nicht mehr auf ihn hoffen konnten. Aber für einen König
walisischer Abstammung,
der, aus Frankreich kommend, an der Westküste von Wales gelandet war, um dann unter dem Drachenbanner des unsterblichen Artus auszuziehen …
Die Sache faszinierte mich nun doch. In meinen Büchern hatte ich darüber nichts gefunden.
«Und was», fragte ich Cecil, «passierte mit der schwarzen Marmorgruft, als die Abtei geplündert wurde?»
«Eine gute Frage.»
«Aber die Abtei existiert doch nicht mehr, oder?»
«Von der ist nichts übrig geblieben. Heute ist das ganze Gelände nur noch ein Steinbruch.»
War das ein weiterer Vorteil für den Sohn des ersten Königs aus der Tudordynastie gewesen? In den Anfangsjahren seiner Herrschaft hatte Heinrich VIII . stets auf seine Verbindung zum unsterblichen Artus angespielt. Und hatte er etwa nicht dessen Gesicht auf der Tischtafel von Winchester mit dem seinen übermalen lassen? Ebendort, wo sein seliger Bruder Arthur Tudor geboren worden war?
«Wollt Ihr damit sagen, dass Thomas Cromwell die Knochen gestohlen hat?»
Man munkelte, dass Cromwell sich eine abartige Sammlung aus Reliquien angelegt hatte, die den geplünderten Klöstern entstammte.
«Falls ja», sagte Cecil, «hat er sie jedenfalls nicht dem Volk von England vermacht, bevor er zu seiner Verabredung mit dem Scharfrichter schritt.»
«Gibt es weitere Gerüchte über ihren Verbleib?»
«Nach meinen Erkenntnissen waren die Gebeine schon verschwunden, als die Gruft zerstört wurde.»
«Haben die Mönche sie fortgeschafft, weil sie ahnten, was geschehen würde? Haben sie sie vielleicht in einem anderen Grab bestattet?»
«Ja, das ist eine Theorie.»
«Demnach wären die Beweise für den Tod des mythischen Vorfahren der Königin …?»
«Verschwunden.»
«Ist uns bekannt, wo man sie versteckt haben könnte?»
Cecil schwieg und ging zurück
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