Die Gebeine von Avalon
ersten Schlussfolgerungen.
«
Was
wisst Ihr darüber?»
«Dass es die Grabstätte von König Artus war.»
Und Artus? Was ist mit dem?,
hatte die Königin gefragt.
Cecil rümpfte die Nase.
†
In der Nacht zuvor hatte ich mich in die Bibliothek zurückgezogen, um die Bücher zusammenzusuchen, die ich der Königin zu überbringen hatte.
Bisher waren meine Regale nur Rohkonstruktionen aus Brettern und Ziegelsteinen. Darin entdeckte ich Werke von Giraldus Cambrensis und Geoffrey von Monmouth, den Malory als Quelle für seinen reißerischen Unsinn
Morte d’Arthur
benutzt hatte.
Nicht, dass Geoffrey selbst sonderlich glaubwürdig wäre. Dort, wo ihm historische Zeugnisse fehlten, hatte er etwas zusammenphantasiert, und was Artus anging, gab es kaum Zeugnisse. Dennoch musste ein Körnchen Wahrheit darin stecken, und ich war bei meinen Forschungen schnell auf Glastonbury gekommen, Artus’ letzte Ruhestätte auf der sogenannten Insel Avalon. Heute war es keine Inselstadt mehr, das Meer hatte sich längst von dort zurückgezogen. Glastonbury lag jetzt auf sanften Hügeln, die aus sumpfigem Flachland ragten, und war von Obstgärten umgeben.
Obstgärten.
Seltsam, dass die Königin und ich unser Gespräch ausgerechnet im Obstgarten meiner Mutter geführt hatten. Schon das Wort Avalon stammte höchstwahrscheinlich von
Afal,
walisisch für Apfel. Jenes Gebiet von Somersetshire besaß nicht nur viele Apfelgärten, sondern lag auch nah an der Grenze zu Wales und mochte daher durchaus die mystische Insel gewesen sein, auf die der Legende nach der sterbende König Artus mit der Barke gebracht worden war.
Entweder um von seinen Verletzungen geheilt zu werden oder aber um auf jener Erde zu sterben, die später einmal zum Gelände der berühmt gewordenen Abtei gehören sollte – je nachdem, welche der beiden Versionen man im eigenen politischen Interesse nun favorisierte.
Beides hübsche Geschichten, ganz gleich für welche man sich entschied. Und inspirierend. Geschichten, die unser Selbstverständnis formten. Das Ideal einer Monarchie, dieser Artus mit seinen Rittern, der Tafelrunde und dem magischen Schwert Excalibur. Artus war immer von großer Bedeutung für uns gewesen.
Uns?
Uns Engländern? Uns Briten? Uns … Walisern?
Da Ihr und ich unsere Wurzeln in Wales haben,
hatte die Königin gesagt.
Als ich ein kleiner Junge war, hatte mein Vater immer wieder erzählt, wir Dees – der Name ist eine englische Abwandlung des walisischen
Ddu,
was
schwarz
bedeutet – würden von Artus höchstselbst abstammen. Und ich glaubte ihm, wer hätte sich auch dagegen verwehrt? Ich glaube es auch heute noch, allerdings auf andere Art. Heute fasziniert mich viel mehr das, was uns von Artus überliefert wurde, das ungebrochene mystische Erbe, durch das wir Zugang zu uralten Kräften finden.
Außerdem behauptete auch eine andere, viel höherstehende Familie von diesem großen britischen Helden abzustammen.
Unser königlicher Vorfahr
hatte die Königin ihn genannt. Mit einem Lächeln.
†
«… wenn es nicht vor zwanzig Jahren zu dieser bedauerlichen Angelegenheit gekommen wäre», erklärte Cecil gerade.
«Ich bitte um Vergebung?»
«Ich spreche vom Abt von Glastonbury. Das ist doch fast das Einzige, was den meisten von uns über diesen grässlichen Ort im Gedächtnis geblieben ist.»
«Hm, ja.»
Im Zuge der Auflösung englischer Klöster war der letzte Abt von Glastonbury durch die Straßen bis hin zum Schafott geschleift und gehängt worden. Anschließend hatte man seine Leiche gevierteilt. Vor seinem Tod, so hieß es, hatte man ihn noch langsam und ausgiebig gefoltert.
Und zwar auf Befehl Thomas Cromwells im Auftrag von König Heinrich VIII . Mit der Begründung, dass der Abt verlogen und unkooperativ gewesen sei.
«Völlig unnötig», kommentierte Cecil. «Im Nachhinein betrachtet.»
Ich schwieg. Die Auflösung der Klöster schmerzte mich noch immer. Obwohl auch ich fand, dass es unabdingbar gewesen war, sich vom oft korrupten Papsttum zu trennen, war mir die Zerstörung von so viel Schönheit und der Verlust von jahrhundertealtem Wissen unerträglich. All diese Bücher zerrissen und verbrannt. Viele der geretteten Werke in meiner Bibliothek hatten versengte Seiten.
«Man sagt, der Ort habe sich noch immer nicht davon erholt», sagte Cecil.
«Wie so viele andere Klosterstädte. War die Abtei in Glastonbury nicht eines der ältesten Gotteshäuser Englands?»
Es schien mir mehr als wahrscheinlich,
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