Die Gebeine von Avalon
zufriedenstellen, dass wir einen angemessenen Schrein für Artus bauen …»
«Wo?»
«Hier in London.»
«Ihr wollt, dass ich nach Glastonbury reise … Artus’ Gebeine suche … und sie dann hierher bringe?»
Er nickte beinahe unmerklich. Also sollte ich doch mit dem Spaten und der funzeligen Laterne ausziehen.
«Allein?»
«Es wird Euch jemand begleiten, dem wir beide vertrauen.»
«Wer?»
Das klang, als wäre die ganze Angelegenheit schon längst beschlossene Sache. Mir kam ein höchst unangenehmer Gedanke.
«Doch nicht Walsingham?»
Cecil sah mich durchdringend an.
«Ich traf mit ihm zusammen … als –»
«Ich
weiß
, wann Ihr ihn getroffen habt.»
«Ist er einer Eurer Männer, Sir William?»
«Francis?» Er lehnte sich zurück. «Nicht offiziell. Sagen wir, ich schaue gerade, ob er sich bewährt. Und
er
soll Euch nicht nach Glastonbury begleiten, da kann ich Euch beruhigen.»
Warum war ich so erleichtert? Etwas Finsteres umgab Walsingham, und der Eindruck entstand nicht allein durch seine Kleidung. Was genau er auch immer unternommen haben mochte, seitdem wir uns an jenem Morgen in der Gasse nahe der Themse getrennt hatten, bisher schien jedenfalls noch kein Sterbenswörtchen über die Wachsfigur bekannt geworden zu sein. Es gab auch kein neues Pamphlet, das darauf angespielt hätte.
Doch trotz meiner Erleichterung, was Walsingham anging, schwanden meine sonstigen Befürchtungen nicht.
«Was, wenn die Gebeine verschwunden bleiben?»
«Oh,
die
werden schon auftauchen», sagte Cecil. «Vielleicht nicht das gesamte Skelett. Ein Oberschenkelknochen würde reichen, zusammen mit einem Brustkorb vielleicht. Und natürlich ein entsprechend verwitterter Schädel, versteht sich.»
«Und Ihr denkt, die Königin wird tatsächlich glauben, diese Knochen wären die Gebeine ihres … Vorfahren?»
«Das kommt darauf an,
wer
sie von deren Echtheit zu überzeugen versucht.»
Cecil sah mich aus seinen schmalen grauen Augen fest an.
So sollten also schnellstmöglich Artus’ sterbliche Überreste Ihrer Majestät der Königin demütig von ihrem Merlin überreicht werden. Und, Gott im Himmel, man wird sich sicher vorstellen können, dass mir dieser Gedanke nicht im Geringsten gefiel.
VI Heiligstes Herz
D ie Ruderer waren angewiesen, sich nicht allzu sehr zu eilen, und so fuhren wir langsam den Fluss hinunter. Ins Licht der unerwartet kräftigen Nachmittagssonne getaucht, wirkte die Themse fast heiter und klar. Nach der Legende ist sie ein heiliger Fluss, und ich habe in den Schriften gelesen, dass die Römer glaubten, sie sei ihrem Sonnengott Apollo geweiht.
Fluss der Sonne. Das gefiel mir, und ich konnte mir das gut vorstellen, wenn die Sonne heute auch als Wintersonne, die sie noch immer war, neben dem geschlitzten Wams meines Begleiters in Gold und Burgunderrot verblasste. Es war ein Wams, das man an einem Sommertag nur durch Rauchglas betrachten konnte.
«Wo bist du mit deinen Gedanken, John?»
Er lag ausgestreckt im hinteren Teil der flachen Barke und sah mich wie so oft amüsiert an.
«Ich habe mir ausgemalt, der Fluss wäre ein See», sagte ich verbittert. «Und eine Frauenhand würde aus den Tiefen auftauchen und ein magisches Schwert emporstrecken, das in der Sonne funkelt.»
Robert Dudley weitete theatralisch die Augen.
«Herrje, John, der Arm jeder Frau wäre bis zum Ellbogen braun von Scheiße, wenn er aus der Themse ragt.»
Dass dieser ehemalige Schüler von mir als große romantische Erscheinung gerühmt wird, ist meiner Meinung nach völlig unbegründet. Zweifellos sieht die Königin etwas anderes in ihrem Oberstallmeister als ich. Ehrlich gesagt denke ich lieber gar nicht darüber nach, wie viel sie von Dudley tatsächlich sieht.
«Vielleicht sollten wir uns
alle zusammen
auf den Weg nach Glastonbury machen.» Er ließ sich in die Kissen sinken und legte seinen Fuß, der in einem weichen Stiefel steckte, auf den gegenüberliegenden Sitz. «Ist doch eine gute Idee, oder was meinst du?»
«Alle?»
«Du … ich … die Königin?»
Als er mir gesagt hatte, dass er heute Nacht mit ihr in Richmond übernachten würde, war ich davon ausgegangen, dass er als ihr Oberstallmeister in seinen Räumen im Palast schlafen würde. Die beiden kannten einander von Kindesbeinen an. Aber wer wusste das alles schon so genau? Wer
wusste
es tatsächlich?
«Du begreifst es wirklich nicht, Robbie, oder?»
«Natürlich begreife ich es. Ich habe nur überlegt, wie man Cecil am besten ins
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