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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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die Königin ging.
    «In Frankreich und Spanien beäugt man die Königin misstrauisch», erklärte sie schließlich. «Und sie ist dort auch Gegenstand wüsten Aberglaubens.»
    «Ich weiß.»
    Wer länger auf dem Kontinent weilte, musste sich diese Anschuldigungen anhören. Das sehr katholische Frankreich unterstützte natürlich die Königin der Schotten, die gerade den jugendlichen König François geheiratet hatte.
    «Es geht dabei vor allem um ihre Mutter», fuhr Blanche fort.
    Die angeblich lächelnd zu ihrer eigenen Exekution geschritten war, weil sie der baldigen Vereinigung mit ihrem diabolischen Herrn und Meister entgegensah. Es hieß, Anne Boleyns Lippen hätten noch immer satanische Gebete gemurmelt, als der Henker bereits ihren Kopf hochhielt.
    Ganz London hatte die Geschichte gehört, und dazu war sie ein Segen für die Pamphlethändler in ganz Europa gewesen. In ihren Traktaten wurde gefragt, wie lange es wohl dauern konnte, bis der Spross aus der unheiligen Verbindung zwischen dem Brodelnden Vulkan und der Hexe auch selbst in den Dienst des Leibhaftigen berufen wurde.
    «In Eurem Garten … im Obstgarten … was hat die Königin dort gesehen?»
    «Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt.»
    «Das glaube ich aber doch. Bevor ich dazukam.» Sie beugte sich vor. «Ich habe das schon vorher beobachtet, John. Sie wird stocksteif und ihr Blick … Was hat sie zu Euch gesagt?»
    Mir fiel wieder ein, wie plötzlich Blanche auf dem Pfad im Garten neben uns aufgetaucht war und wegen des Hopfengeruchs die Nase gerümpft hatte, als handle es sich um die Schwefeldämpfe der Hölle.
    «Was hat sie Euch gesagt, John?»
    «Sie fragte, ob es …»
    … in unserem Garten Hasen gebe.
Ich schwieg.
    Blanche wartete.
    «Ich werde nichts darüber erzählen.»
    Ich glaubte zu fühlen, wie meine Welt sich an den Enden kräuselte wie ein brennendes Stück Pergament. Blanche Parry saß regungslos da, als hätte ihre Seele vorübergehend den Körper verlassen. Wie lange dieses schreckliche Schweigen zwischen uns anhielt, weiß ich nicht.
    Schließlich sagte ich: «Was meint Ihr damit, dass Ihr es schon zuvor beobachtet habt? Was passiert mit ihrem Blick?»
    «Er sieht mehr, als er sehen sollte», erklärte sie. «Manchmal zumindest.»
    Als hätte sie einen Krampf, presste Blanche die Hände im Schoß zusammen, und ich wandte den Kopf ab.
    «Und was genau» – so atemlos, dass die Stimme gar nicht wie meine eigene klang – «sieht ihr Blick in solchen Momenten?»
    Draußen zwischen den Bäumen oberhalb des Flusses entrollte sich bereits der Gobelin der Nacht.
    «Ich verweile hier schon zu lange», sagte Blanche. «Schickt Eure Boten zu mir, und auch ich werde Euch auf dem Laufenden halten, falls Anlass …»
    «Was sieht sie, Blanche?»
    Ich hielt die Armlehnen meines Sessels umklammert, die Dunkelheit im Rücken, als Blanche es der Wand zuflüsterte: Wie die Königin erzählt hatte, dass sie Anne Boleyns blutigen Schatten neben ihrem Bett gesehen habe, das Lächeln der Toten verzerrt vom falschen Ehrgeiz.

[zur Inhaltsübersicht]
Z weiter T eil
    Es ist kaum zu glauben, welch wilder Aberglaube in den dunklen Jahren während Marias Herrschaft erblühte oder besser gesagt ins Kraut schoss. Wir entdeckten überall Heiligenreliquien, Nägel, von denen die verblendeten Menschen glaubten, der Herr wäre von ihnen durchbohrt worden … Splitter vom Kreuz. Die Zahl der Hexen und Zauberer war im ganzen Land ins Unermessliche gestiegen.
    John Jewel, Bischof von Salisbury, nach
    einer Reise durch den Westen Englands, 1559

X Reliquien
    A ls sich der Tag dem Ende neigte, kehrte mit einem plötzlich aufkommenden Hagelschauer der kälteste Winter zurück. Wir hatten noch einige Meilen vor uns, und mein Umhang hing an mir wie ein nasser Sack.
    Dudley ritt voraus und schaute nach vorn auf einige nicht weit entfernte Bäume, kahl und knochig wie Fischgräten, und auf Hügel, die noch immer einen Hermelin aus Schnee trugen. Dann sah er hinauf in den Himmel, aus dem es weiter auf uns niederprasselte, und warf mir schließlich über die Schulter einen Blick zu.
    «Kannst du nicht irgendetwas dagegen tun, John? Wetter machen? Den Sturm nach Frankreich schicken?»
    Er stellte sich im Sattel auf, was mein Pferd erschreckte. Ich lehnte mich nach vorn, um es zu beruhigen. Mit Pferden konnte ich etwas besser umgehen als mit Frauen. Aber im Vergleich mit Dudley kam ich mir, wie gewöhnlich, jämmerlich vor.
    Trotzdem war ich über seine Worte

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