Die Gebeine von Avalon
lassen. Ich selbst bin auch ein Mann der Kirche. Das Gesetz des Landes ist endlich mit dem Gesetz Gottes vereint worden, und es ist meine Pflicht, es aufrechtzuerhalten.»
Ich hätte gerne etwas darauf geantwortet, aber für einen Dr. John gab es nichts hinzuzufügen.
«Als ich noch ein junger Mönch war», fuhr Fyche fort, «in der Zeit bevor die Abtei aufgelöst wurde, da haben meine älteren Mitbrüder oft hier zum Tor hinübergesehen und dann mit Grausen gefragt, wer wohl einst die Dunkelheit vertreiben werde, wenn wir nicht mehr da sind.»
«Wussten sie denn, was mit der Abtei geschehen würde?»
«Das wussten wir alle.» Fyche holte Luft. «Damals glaubte ich, ich hätte mehr Glück als meine Mitbrüder, weil ich dieses Land von meinem Onkel geerbt hatte. Mir war noch nicht klar, welch schreckliche Verantwortung mit diesem Erbe auf mir lasten würde. Gott … setzt uns an die Stelle, an der wir ihm am besten dienen können.»
Der Nebel hatte sich verdichtet, und ebenso undurchdringlich wurde mir dieses Gespräch. Fyches Ansichten verfingen sich auf den ersten Blick in puritanischer Enge, ganz so einfach schien hier indes nichts.
«Dies ist die heiligste Stätte Englands», sagte er. «Gesegnet von unserem Herrn Jesus Christus selbst, wohnt ihr eine seltene Kraft inne. Und ebendiese Kraft machen sich manche zunutze, um ihre fleischlichen Gelüste und niederen Triebe zu befriedigen. Nach der Zerstörung der Abtei muss dagegen eine neue Bastion geschaffen werden, sonst wird diese Stadt zu einem teuflischen Sündenpfuhl.»
«Das ist wohl wahr.»
Dem konnte man im Grunde nicht widersprechen, aber …
«Ich traf mich zum Beten mit einigen meiner ehemaligen Mitbrüder. Und Gott erhörte unsere Gebete und schickte uns andere Gläubige, die sich uns anschlossen. Es ist Gottes Wille, dass wir all das Wissen, das verloren ging, wieder zusammentragen. Das wurde uns offenbar.»
Ein Ziel, das, wie ich zugeben musste, sich nicht sehr von meinem Plan für eine Nationalbibliothek unterschied.
«Gehört Ihr zu den Mönchen, die Königin Maria ersuchten, die Abtei wiederaufzubauen?»
«Das war nicht die Lösung», sagte Fyche. «Die Zeiten ändern sich. Gott hat uns neue Wege aufgezeigt.»
«Ein College?»
Während die Klöster zugrunde gingen, erlebten die Schulen und Universitäten eine Blütezeit. Als jemand, der in Cambridge und Louvain studiert hatte, wusste ich, wie viel Einfluss eine Versammlung vieler kluger Köpfe an einem Ort entfalten konnte. Und auch, welchen Unfrieden sie zu stiften vermochte.
«Adelssöhne aus ganz Europa wurden in die Abtei zum Studieren geschickt. Diese Tradition wollen wir neu beleben. Es stimmt, dass der erste Schritt dorthin die Segnung durch den Bischof von Wells war – der, wie Ihr ja wisst, Dr. John, in Ungnade gefallen ist. Aber ich darf Euch versichern, dass wir alle den Katholizismus lange hinter uns gelassen haben und bereit sind, den Eid auf die Königin als Oberhaupt der Kirche –»
«Das geht mich nichts an, Sir Edmund.»
Hätte es Grund gegeben, an seiner Loyalität zu zweifeln, wäre er kaum Friedensrichter geblieben. Und es stand dem Antiquar Dr. John kaum an, Fyches religiöse Überzeugungen zu hinterfragen.
«Was Eure Aufgabe hier angeht», fuhr er fort, «kann ich Euch mitteilen, dass das Bemerkenswerte an der Abtei weder ihre Gebäude noch ihre Reichtümer waren. Nein, es war das große Wissen und die Weisheit der Mönche selbst. Beides sollte und wird weitergegeben werden.»
Dr. Dee hätte dem leidenschaftlich zugestimmt; Dr. John schwieg. Der ältere Mönch hatte sich erhoben, schaute über den Rand seines Buches zu uns herüber und lächelte freundlich. Er trug eine weiche schwarze Kappe, und sein Bart lief spitz zu.
«Er kann uns nicht hören», erklärte Fyche. «Bruder Michael ist taubstumm. Eines Morgens erwachte er aus einem seligen Traum und konnte weder hören noch sprechen. Seitdem stört ihn das Gerede der Menschen nicht mehr, und er hört nur noch die Stimmen der Engel. Wie Ihr Euch vorstellen könnt, legt man auf seine Meinung in moralischen und geistlichen Fragen … großen Wert.»
«Dann gehört er zu jenen, deren Vision …?»
«Niemand», sagte Fyche, «sollte die Worte der Engel missachten.»
Sogleich wollte ich mehr wissen. Überlegte, ob ich wohl eines Tages bereit wäre, das Hören und Sprechen für einen inneren Austausch mit höheren Sphären hinzugeben. Erinnerte mich an Nächte, in denen mich so starke Verzweiflung
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