Die Gebeine von Avalon
mit einem Freund hier.»
«Ein
Freund …
ich
verstehe
.»
«Wir sind viele Tage geritten. Und dieser Freund» – meine Stimme bebte – «ist sehr krank.»
«Oh.»
«
Schwer
krank.»
«Das betrübt mich, Mylord, ganz aufrichtig.»
«Und seit wir hier angekommen sind, ist es noch schlimmer geworden.»
«Oh, das klingt richtig böse.» Er verschränkte die Arme. «Ihr wisst ja, man sagt, dass, ganz gleich wie stark der Glaube eines Menschen auch sein mag …»
«Ja, manchmal reichen Gebete nicht aus.»
«Das habe ich auch gehört.»
Obwohl ich nicht sonderlich gut darin bin, trieb ich das Spiel weiter.
«Wir sind hergekommen, weil man uns von … Wundern berichtet hat?»
Nun lehnte er sich zurück, die Arme weiter verschränkt, die Lippen geschürzt.
«Von denen gibt es hier wahrhaftig so einige. Glastonbury ist weltbekannt für seine Wunder. Diese Stadt trägt das Zeichen des Erlösers, seit Er als Junge über diese Hügel gewandert ist und Sein Onkel, der gute alte Joe Mathea, den Grundstein für die Abtei legte, aber das wisst Ihr wohl alles.»
Ich nickte. «Früher konnte ein Pilger die Abtei aufsuchen und über den Reliquien eines Heiligen beten. Dort lagen Hunderte von Heiligen begraben.»
«Die sind jetzt alle weg.»
Ich holte tief Luft und schaute ihm in die Augen.
«Alle?»
«Weg aus der
Abtei
», sagte er.
«Aber das bedeutet ja nicht, dass sie …» Mir gingen die Umschreibungen aus. «Master Benlow, mein Freund ist ein sehr vermögender Mann.»
«Wo befindet er sich, Mylord?»
«Im George Inn.»
«Ja», sagte er. «Dass im George ein Kranker liegt, davon habe ich schon gehört. Sie dachten, es sei die Pest.»
«Die Pest ist es wohl nicht», sagte ich. «Aber er ist sehr schwach.»
«Wusstet Ihr», fragte er, «dass hier zwei Frauen von der Pest geheilt worden sind, nachdem sie den Schrein des heiligen Joseph besucht hatten? So wahr, wie ich hier steh!»
«Wo … ist der Schrein?»
Meines Wissens gab es keinerlei Beweise dafür, dass Joseph von Arimathäa je einen Fuß nach Glastonbury gesetzt hatte oder gar hier gestorben war … das waren nichts als blumige Legenden.
«Ah!» Benlow tippte sich gegen die Lippen. «Das wissen nicht viele, und die, die es wissen, behalten es für sich.»
«Und Ihr seid einer von ihnen, Master Benlow?»
«Und dann war da noch der Pastor von Wells», sagte Benlow. «Er konnte nicht richtig gehen und kam eines Tages humpelnd hier an. Der war schneller geheilt, als man gucken konnte! Und der
Junge
– ich schwöre, jedes Wort ist die reine Wahrheit –, den haben sie mausetot hergebracht, und er wurde am Schrein wieder
zum Leben erweckt
. Ja, Euer Freund ist in die richtige Stadt gekommen mit seinem Leiden.»
«Ja, ganz sicher.»
«Ist nur nicht mehr so leicht, hier heutzutage noch einen Knochen zu finden, den man küssen könnte.»
Es war das erste Mal, dass das Wort
Knochen
überhaupt erwähnt wurde. Ich sagte ihm, dass wir in der Hoffnung angereist wären, etwas von hier mit nach Hause nehmen zu können. Eine kleine Reliquie, die wir in unserer Kapelle aufbewahren konnten … heimlich, versteht sich.
«Oh, geheim muss es bleiben, Mylord, das auf jeden Fall!» Er spähte an mir vorbei zur Tür. «Woran genau dachtet Ihr? Ein Splitter vom Kreuz des Herrn? Ein Fläschchen Wasser, eingeschenkt aus dem Heiligen Gral selbst, oder ein
Bruchstück …
»
«Ein Bruchstück?»
Er beugte sich dicht zu mir. «Ein Stück des geheiligten Skeletts?»
Ich blieb einen Moment lang stumm, um nicht zu großen Eifer zu verraten.
«Wie viel?»
«Tja, das hängt von der Größe ab … und der Wichtigkeit des jeweiligen Heiligen.»
«Wer war denn hier der bekannteste?»
Sein Blick wurde starr. Ich konnte seine Habgier spüren.
«Ich bin sehr verschwiegen», versicherte ich.
«Dann kommt mit, Mylord.»
†
Im fensterlosen Lagerraum hinter dem Laden brannte eine einzelne Kerze auf einem Sims, und der Geruch der frischen Felle wurde am Fuß der Leiter zum Dachboden von erstickendem Weihrauchduft übertönt.
«Lämmer Gottes», sagte Benlow. «Arme Viecher.»
Kichernd nahm er sich einen Besen und fegte Wolle und Stroh von der Mitte des Fußbodens fort. Darunter kam eine Vertiefung im Boden zum Vorschein. Er hielt inne und schaute zu mir herüber.
«Und man hat Euch ausdrücklich zu mir geschickt, nicht wahr?»
Ich nickte.
«Ihr müsst wissen, ich mache in der Stadt sonst keine Geschäfte. Gibt hier Leute, denen es gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher