Die Gebeine von Avalon
Ihr denn keine Angst vor den wandelnden Toten, Doktor?»
«Ich habe eine Aufgabe zu erledigen.»
Wie unglaubwürdig das alles klang!
«Wärt Ihr nicht ein Diener der Krone, würde ich annehmen, Ihr seid hier gewesen, um zu stehlen», bemerkte Fyche ruhig.
«Stehlen? Aber was denn?»
«Oder sogar um zu morden», fuhr er fort.
Ich schwieg. Zwei Konstabler patrouillierten mit hin und her schwingenden Laternen am anderen Ende des Kirchenschiffs.
«Es ist wohl an der Zeit, dass ich mir Eure Legitimationspapiere ansehe. Das versteht Ihr doch wohl?»
«Ich hole sie.»
Sie waren nicht von Cecil persönlich ausgestellt, da das womöglich Aufsehen erregt hätte, aber sie verfügten über das notwendige Siegel. Ich wollte mich auf den Weg machen, doch Fyche gebot mir durch eine Geste Einhalt.
«Nicht jetzt. Ich habe erst noch weitere Fragen. Wann habt Ihr diesen Mann zuletzt lebend gesehen?»
«Ich … gestern Nachmittag. Nicht lange, bevor Ihr und ich uns auf dem Tor begegnet sind.»
«Ihr und die Hexe? Er war mit Euch und der Hexe dort?»
«Ich schickte ihn fort, damit er sich um seinen Herren kümmert.»
«Sagtet Ihr mir nicht, dass
Ihr
sein Herr wäret?»
«Streng genommen steht er in Diensten meines … von Master Roberts.»
«Der Mann, der auf dem Krankenbett daniederliegt. Und – trotz seiner Ärztin – noch nicht tot ist.»
«Er befindet sich auf dem Wege der Besserung», gab ich zurück.
«Im Gegensatz zu diesem bedauernswerten Mann.» Fyche wandte sich ab und nahm Martin Lythgoes Leiche in Augenschein. «Die Umstände seines Todes – wie würdet
Ihr
sie beschreiben?»
«Widerlich und grausam.»
Der Gestank wurde immer schlimmer, aber Fyche machte keine Anstalten, davor zurückzuweichen. Er nahm seinen Hut ab und beugte sich über Martins ausgeweideten Körper.
«Ein Schnitt von der Kehle bis zur Leiste. Meisterlich ausgeführt. Mit den Werkzeugen eines Schlachters vorgenommen, meint Ihr nicht auch?»
«Ich bin Beamter, kein Leichenbeschauer.»
«Kann auch sein, dass eine Axt die Rippen durchschnitten hat. Seht hier …»
Ich wollte mir das nicht anschauen und blickte stattdessen hinauf zu einer der gebrochenen Rippen des Kirchenschiffs. Ein weiterer zerstörter Körper.
«Die Lungen wurden mit großer Sorgfalt entfernt», fuhr Fyche fort. «Und die Gedärme – seht Ihr – hat man um seinen Arm geschlungen wie eine Schlange um einen Stab.»
Durch das Loch in der Decke sah man die Venus am kalten Himmel strahlen, den Morgenstern.
«Und das Herz wurde wie ein Zepter in die linke Hand gelegt. Der Mörder muss über und über mit Blut besudelt sein. Also, was ist mit diesem Mann hier passiert?»
«Sir Edmund, es ist deutlich zu sehen, was ihm angetan wurde. Ich kann Euch allerdings nicht sagen, warum. Er war Stallbursche und hat sich mehr mit Pferden als mit Menschen abgegeben. Ein sanftmütiger Mann, ein harmloser Mensch …»
«Aber die Art seines Todes …»
«Hat etwas … Rituelles an sich.»
Fyche nickte. Sein frischer Bartwuchs war durchzogen von Flecken weißen Haares. Er hatte gewollt, dass ich es aussprach.
«Und es hat auch etwas von einem Sakrileg», führte ich weiter aus. «Vorausgesetzt, man hält die Abtei noch für geweihten Boden.»
«Oh, das hier
ist
geweihter Boden», antwortete Fyche. «Fragt sich nur, für wen?»
«Ihr seht den Satan überall, nicht wahr, Fyche?» Vielleicht hätte ich nicht so mit ihm sprechen dürfen, aber ich war müde. «Aber ja, Ihr habt ja recht», murmelte ich erschöpft. «Wenn dieses Verbrechen nicht von satanischer Bosheit zeugt, dann wüsste ich nicht, was sonst.»
Ich spürte die Wärme seiner Laterne, als er sich näher zu mir beugte.
«Eure Hände», verlangte er. «Lasst mich Eure Hände sehen.»
«Ich …» Ich sah ihm ins Gesicht. «Wie bitte?»
«Eure Hände. Alle beide.»
Zwei seiner Konstabler tauchten links und rechts neben ihm auf. Gedemütigt streckte ich die Hände aus, während er sie ohne Eile im Schein seiner Laterne inspizierte.
«Danke. Eine notwendige Formalität.»
Ich konnte nur nicken.
«Als ich beim letzten Mal hergerufen wurde, ging es um einen jungen Hahn auf einem behelfsmäßigen Altar aus herabgestürzten Quadern», fuhr Fyche fort. «Die Frevelei wurde vermerkt … aber nicht weiterverfolgt.»
«Ein Blutopfer?»
«Jedenfalls nicht die Überreste eines abendlichen Hähnchenschmauses, Dr. John.»
«Wer verübt solche Verbrechen gegen Gott?»
«Die Gleichen, die auch Gräber schänden
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