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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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und Gebeine stehlen.»
    Hier in der Abteiruine dachte ich gleich an Artus’ Gebeine, aber ich hatte mich geirrt.
    «Vor nicht einmal einer Woche wurde auf dem Gottesacker von St. Benignus, drüben auf der anderen Straßenseite, das Grab eines Mannes geplündert, der vor einigen Jahren starb», berichtete Fyche. «Totenbeschwörung, Dr. John. Ich habe Euch ja erzählt, welchen Abschaum diese Stadt beherbergt. Fragt doch das Borrow-Weib.»
    «Sie ist eine
Ärztin …
»
    «Ihr seid naiv, Doktor John. Gut, ich gebe Euch noch einen Denkanstoß. Hat dieser arme Kerl hier vielleicht in Eurem Auftrag Fragen gestellt? Über versteckte Schätze, die für die Krone von Interesse sein könnten? Und dadurch bittere Erinnerungen an ein ähnliches Vorhaben vor mehr als zwanzig Jahren geweckt?»
    «Leland?»
    «War der Mann aus den gleichen Gründen wie Ihr heute Nacht in der Abtei? Um nach Reliquien zu suchen? Habt Ihr ihn deshalb hierher geschickt?»
    «Keineswegs, ich … ich weiß nicht, warum er hier war.»
    «Das ist ein ziemlich merkwürdiger Zufall, findet Ihr nicht auch?»
    «Scheint so.»
    «Wie auch immer, es bleibt mir keine Wahl, ich muss einen Boten zu Sir Peter Carew nach Exeter schicken», beschied Fyche. «Da die Abtei unter seiner Verwaltung steht, wäre er sicher nicht erfreut, wenn wir ihm einen Mord dieser Art verschweigen würden … war er nicht überhaupt Euer Reisegefährte?»
    Ich nickte, wenig erfreut über die Aussicht, dass Carew durch die Stadt wüten würde wie ein gestrandeter Pirat.
    «Er sollte innerhalb eines Tages hier eintreffen», stellte Fyche fest. «Carew wird noch weniger als ich bereit sein, dieses Ungeziefer ungeschoren davonkommen zu lassen.»
    Ich sah mich nach Cowdray um, weil ich sehen wollte, wie er reagierte, doch er war schon fort. Ich fragte mich, ob Fyche wirklich so ein überzeugter Konvertit zum Protestantismus war. Es hatte zu allen Zeiten Menschen gegeben, die persönliche Befriedigung, ja, sogar Vergnügen daraus zogen, Andersdenkende zu verfolgen, seien es nun Katholiken, Protestanten, Juden oder Sarazenen. Bonner sagte man nach, so jemand zu sein. Aber Bonner hatte niemals die Seiten gewechselt. Nicht einmal, um dem Gefängnis zu entgehen.
    «Ich werde zusätzliche Konstabler aus Wells kommen lassen», verkündete Fyche. «Und dann sind wir dazu verpflichtet, die ganze Stadt auf den Kopf zu stellen. Es werden Unannehmlichkeiten für die Unschuldigen entstehen, das steht außer Frage. Aber der Mord an einem Diener der Königin – und sei es auch nur ein Knecht – erlaubt keine Zimperlichkeit.»
    Eine perfekte Ausrede, um die Maden zu zerquetschen. Die Luft war erfüllt mit dem Gestank von Talg, Blut und Scheiße. Ich schluckte meine Übelkeit hinunter.
    Fyche holte tief Luft, um sich gegen den Gestank zu wappnen, und beugte sich dann über den Leichnam. Und ich …
    Was ich dann sah … Ihr müsst verstehen, wie übermüdet ich war. In dieser Nacht hatte ich überhaupt noch keinen Schlaf bekommen und in der davor viel zu wenig. Mein Kopf schmerzte, und mein Blick war getrübt. Die Vorstellungskraft kann, wie ich vielleicht schon angemerkt habe, den Verstand vollkommen vernebeln. Und wer vermag schon zu sagen, was Visionen und was Anzeichen beginnenden Wahnsinns sind?
    Die Kerze, die in Martin Lythgoes Mund gezwängt worden war, hatte sich verformt, war zu einem bauchigen Kegel aus gelbem Wachs geworden, der seine Lippen, das Kinn und die Wangen bedeckte. Mein erster Eindruck – die Schnabelmaske eines Pisseschnüfflers – wurde sehr schnell von einem anderen Bild verdrängt, als ich den schwarzen Docht sah, der steil aus dieser Masse aufragte, durchtränkt von geschmolzenem Fett.
    «John … was zur Hölle …»
    Nein!
    «… geht hier vor sich?»
    Ich wirbelte herum und entdeckte Robert Dudley, der sich halb bekleidet an einer zusammengestürzten Wand abstützte. Sein Gesicht war schweißverschmiert, seine Augen dunkel umrandete Flecken. Ich wollte ihn anschreien, dass er zurück ins Bett gehen sollte, aber ich brachte keinen Ton heraus, weil ich im Geiste noch immer das Bild der geschmolzenen Kerze sah, die, bei allem, was mir heilig ist, nichts weniger war als ein groteskes Abbild des Glastonbury Tor.
    Und in diesem Augenblick … wurde mir zum ersten Mal bewusst – das verstörendste und überwältigendste Gefühl, das ich je empfunden hatte –, dass dieser Ort auf unheilige Weise in mir zu leben begann.

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