Die Gebeine von Avalon
glitt förmlich über den Markt hinweg, der Gang eines Mönchs. Gelassen, als stünde er tatsächlich noch immer unter dem Schutz der Kirche.
«Nichts mehr da!» Ein alter Mann stand im Türrahmen einer Bäckerei und gestikulierte vor einer Warteschlange mit den Armen. «Die verdammten Konstabler haben sich den ganzen Korb geschnappt. Ich konnte nichts dagegen machen, versteht das doch.»
«Pasteten», erklärte Monger. «Meister Worthy macht die besten Hammelpasteten in ganz Somerset.»
Als sich die Warteschlange murrend auflöste, führte mich Monger in die Bäckerei.
«Nichts mehr da, Joe», klagte der Bäcker. «Ich konnte nichts –»
«Ja, wir haben es vernommen. Meister Worthy, ich möchte Euch Dr. John vorstellen, von der Königlichen Kommission für Altertümer. Er ist hier, um herauszufinden, was von den Beständen der Abtei noch übrig ist.»
Der alte Bäcker – ein rundlicher Mann, vermutlich kahl unter seiner Mütze – erstarrte.
«Dr. John wünscht nur zu erfahren, ob sich die Dinge, die nicht zerstört wurden, in … guten Händen befinden», beschwichtigte Monger. «Ihr habt nichts zu befürchten.»
Ich starrte Monger an. Wie konnte
er
denn sicher sein, dass der Bäcker nichts von mir zu befürchten hatte? Er kannte mich nicht.
Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
†
Als wir wieder aus der Bäckerei traten, lugte zwischen zwei Marktständen die ferne Spitze des Turms auf dem Tor hervor. Sie blitzte kurz auf, als hätten Engel sie einen Moment mit ihren goldenen Flügeln umflogen.
«Und das soll alles sein?», wollte ich von Monger wissen. «Das sind all die Zauberer, von denen Fyche gesprochen hat?»
In einem Loch in der Wand, verdeckt von einem ausgedienten Ofen, waren einige Bücher versteckt. Das kostbarste davon war der erste Band der
Steganographia
, jenes Meisterwerk über Magie und Chiffren von Johannes Trithemius, dem letzten Abt von Sponheim. Es konnte nur aus der Abtei stammen. Man hätte mich allein mit diesem einzigen Buch eine Woche lang in der Bäckerei einsperren können.
«Wegen dieser Bücher hält sich Emmanuel Worthy für einen Alchemisten», begann Monger. «Bloß weil er sie in seinem Besitz hat. Dabei versteht er nichts von den darin enthaltenen geheimen Diagrammen und wird es auch nie. Aber ich kann Euch andere nennen, die über mehr Wissen und Fähigkeiten verfügen. Da wäre ein Mann, der sich auf die alte ägyptische Heilkunst durch Behandlung der Zehen versteht. Ein siebtes Kind eines Siebtgeborenen, das die Zukunft vorhersehen kann. Und es gibt mindestens fünf Leute, die versichern, mit den Verstorbenen sprechen zu können. Oh, und jemanden, der angeblich Talismane aus dem Holz vom Kreuz unseres Erlösers fertigt – obwohl ich in dem Fall erhebliche Zweifel hege.»
«Und alle wissen von –»
«Einander. Sie kennen sich, das ist richtig. Selbst wenn sie über die Stadt und die umliegenden Dörfer verstreut sind, so bilden sie doch eine Gemeinschaft. Einige treffen sich immer, wenn der Markt vorbei ist. Obwohl …» Er schaute sich über die Schulter. «Normalerweise würden sie sich treffen. Heute Abend könnte das durchaus anders sein.»
«Lebten sie schon hier, als Ihr noch ein Mönch in der Abtei wart? Wusstet Ihr damals schon, wer und was sie waren?»
«Ein paar waren schon hier. Nicht so viele wie heute. Oder vielleicht sind sie uns damals nur nicht so aufgefallen, weil die frommen Brüder in der Mehrheit waren.»
Ich erfuhr, dass viele der Suchenden – das war die einzige Bezeichnung, die Monger für sie hatte – aus den entferntesten Gegenden des Landes hierhergekommen waren. Manche sogar aus dem Ausland. Als sich die Abtei auf dem Gipfel ihrer Macht befand, wurde dies, obgleich unübersehbar, dennoch geduldet. Die Stadt wuchs ständig und war immer voller Pilger. Erst nach dem Untergang der Abtei, nachdem die Reichen und Frommen fortgezogen waren, erkannte man, um wen es sich bei jenen Zugereisten handelte, die nicht wieder fortziehen wollten … Im Gegenteil, ihre Zahl begann sogar zu wachsen. Manche trafen bettelarm hier ein, lebten in Zelten oder verlassenen Häusern. In die Kirche gingen sie nur, sooft es nötig war, um etwaiger Verfolgung zu entgehen, denn in Wirklichkeit … huldigten sie einem anderen Glauben.
Eine ganze Gruppe von Zugezogenen, die das reiche London und Bristol links liegengelassen hatten, um stattdessen hier mühsam ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Weshalb?
«Das ist nicht so
Weitere Kostenlose Bücher