Die Gebeine von Avalon
sagte Monger. «Die Ergebnisse sind … nicht vorhersehbar. Statt seliger Verzückung können genauso gut auch Visionen vorkommen, die schlimmer als der schwärzeste Albtraum sind. Versteht Ihr? Himmel oder Hölle. Es ist ein Glücksspiel.»
Das
Elixier des Himmels und der Hölle
. Vor ein, zwei Jahren hatte ich in den niederen Landen davon gehört. Aber genauso wie beim
Elixier des Lebens
wusste man nie so genau, wie viel Glauben man dem Gerede schenken durfte.
«Die Wirkung war so unberechenbar, dass Cate Borrow das Mittel nur in äußersten Notfällen verabreichte», fuhr Monger fort. «Bei unerträglichem Kopfschmerz zum Beispiel, oder wenn jemand so tief im Jammer versank, dass er Gefahr lief, sich etwas anzutun.»
«Abgesehen von dem Wollhändler, wem …?»
«Sie hat es an sich selbst ausprobiert. Aber mit Bedacht und auch nur in geringer Dosis. Matthew hat es ebenfalls versucht – zum ersten und letzten Mal, wie er Euch sicher bestätigen wird. Sie waren dabei zu zweit, damit der, der es nahm, sich selbst keinen Schaden zufügte.»
«Diese …» Ich musste daran denken, was Cecil gesagt hatte. «Diese Visionen …»
«Ich …» Monger zögerte. «Ich habe gehört, dass sogar der Ort, an dem es eingenommen wird, beeinflussen kann, wie es wirkt. Und ich vermute, dass auch die Stimmung des Mannes, der es einnimmt, darauf Auswirkungen hat. Oder der Frau.»
Ich wartete. Es war mittlerweile so dunkel geworden, dass ich sein Gesicht nicht mehr sehen, geschweige denn seine Miene deuten konnte.
«Joan Tyrre …», begann er nach einer Weile. «Als sie vom Pulver der Visionen hörte, wollte sie es unbedingt nehmen. Und so wurde sie, auf ihre närrische unschuldige Art, zum Grund für Cates Untergang.»
†
Joan Tyrre war selbst eine Kräuterkundige, auch wenn sie Cate nicht das Wasser reichen konnte. Jahre zuvor hatte sie bereits in Taunton auf sehr heikle Weise Kapital aus ihren Beziehungen zum Feenvolk geschlagen. Offenbar hatte sie manchen Leuten weisgemacht, sie seien verhext – was ihr angeblich die Feen anvertraut hätten –, und dann diesen Leuten ihre Hilfe angeboten.
Ich hatte schon von solch hässlichen Machenschaften gehört, mit denen man Geld aus der Not der Armen und Verzweifelten schlug. Es konnte nicht lange gedauert haben, bis sich die Kirche dafür interessierte.
Hatte es auch nicht. Vor dem Kirchengericht gab Joan alles zu und schwor, von nun an nur noch Gott dienen zu wollen … während sie insgeheim schon plante, ihr Gewerbe etwas unauffälliger in einem anderen Teil der Stadt wiederaufzunehmen, sobald der ganze Wirbel sich gelegt hätte. Aber die Feen wollten ihr den Verrat an ihnen nicht vergeben und – das behauptete sie zumindest später – vertrauten sich Joan nicht länger an.
Noch dazu straften sie sie mit fast völliger Blindheit. Da entschied sie sich dafür, ins offenkundig mystischere Glastonbury zu ziehen.
«Sie hatte von weitem den Tor gesehen», führte Monger aus. «Ganz magisch im Abendlicht. Und natürlich hatte sie auch vom Feenkönig Gwyn ap Nudd gehört, der noch immer im Inneren des Hügels seinen Palast haben soll.»
Joan hoffte, dass der große Gwyn seine Ohren nicht vor ihrem Flehen verschließen würde. Und so schloss sie sich zum Schutz vor Räubern einer Gruppe Reisender an und brach zu Fuß nach Glastonbury auf. In einem Wald am Rande des Hügels baute sie sich eine notdürftige reetgedeckte Hütte. Es war Sommer, und sie blieb dort einige Wochen und betete, dass man sie in die Halle der Feen einlassen würde.
«Also waren ihre Beziehungen zum Feenvolk nicht nur …»
«Einbildung?», ergänzte Monger. «Viele Leute sind der Meinung, dass sie völlig übergeschnappt ist, und doch …»
Wochen vergingen. Eines Tages im Herbst hatte Joe Monger Joan halb verhungert, bis auf die Knochen durchgefroren und kaum noch am Leben in ihrer Behausung gefunden. Er brachte sie in die Stadt zu Matthew Borrow, der sie im Wartezimmer seines Behandlungsraumes schlafen ließ, das er manchmal als Hospital nutzte. Als es ihr besserging, besorgte Borrow ihr eine Anstellung als Haushälterin bei einer alten Dame, die ebenfalls von den Feen fasziniert war.
Aber Joan war noch immer niedergeschlagen, und auch ihr Augenlicht wurde schwächer. Irgendwo hörte sie dann von Mongers Freund, dem Wollhändler, und welche Erfahrung er gemacht hatte. Also wandte sie sich in ihrer Verzweiflung an Cate Borrow und bettelte sie an, ihr die Zusammensetzung des
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