Die Gebeine von Avalon
Und dann … ist sie los, noch bevor ich wieder erwachte.»
Monger drehte sich zu mir um.
«Das hier ist Nels Vater – Dr. Borrow. Matthew, darf ich Euch Dr. John vorstellen? Er besucht unsere Stadt aus … Gründen, die er noch erläutern muss. Dennoch denke ich, dass wir ihm trauen dürfen. Was hat Fyche gesagt?»
«Nicht viel. Er hat sich nur überall im Haus umgesehen und seine Männer angewiesen, die Schubladen umzudrehen und alles aus den Regalen zu fegen.»
Ich erinnerte mich an den Scherz seiner Tochter über das Verjüngungselixier – neunzig, sieht aber aus wie fünfzig. Wahrscheinlich
war
er fünfzig, wirkte dabei jedoch noch sehnig und kraftvoll.
«War er danach fertig?», erkundigte sich Monger.
«Nein.»
Monger wartete schweigend und mit gesenkten Armen.
«Meine Instrumente», sagte Dr. Borrow. «Ich bin erst zur dritten Morgenstunde wieder zurückgekommen und sofort ins Bett gegangen. Die Tasche mit meinen Instrumenten, na ja, ich habe sie einfach in eine Ecke geworfen. Und dort fand sie dann einer von Fyches Männern. Im ersten Moment dachte ich mir nichts Böses. Ich hatte eher Angst, dass sie die … die falschen Bücher bei mir entdecken könnten.»
Damit meinte er wohl die Bücher, aus denen seine Tochter so viel über den Lauf der Sterne gelernt hatte. Möglicherweise stammten auch sie aus der Abtei.
Mongers Mund wurde hart.
«Eure
chirurgischen
Instrumente?»
«Ich reinige sie sonst immer sofort, wenn ich heimkomme, Joe. Vor einem neuen Patienten eine Klinge aus der Tasche zu ziehen, an der noch das Blut des letzten klebt, ist nicht unbedingt … hilfreich. Aber gestern Nacht war ich so verdammt müde.»
«Nur damit ich es richtig verstehe», sagte Monger. «Es geht um Eure chirurgischen Messer? Und die haben sie blutverschmiert bei Euch gefunden?»
«Ja, ja, ja …» Borrow kniff die Augen zusammen. «Leider ja.»
«Haben sie Euch beschuldigt, den Mann in der Abtei abgeschlachtet zu haben?»
«Wenn sie das doch nur getan hätten! Sie wollten wissen, ob Eleanor schon einmal jemanden operiert hat.»
Mein Magen krampfte sich zusammen.
«Und hat sie?», fragte ich.
«Nur wenn es keine andere Möglichkeit gab.»
Chirurgie: die niederste Form der Heilkunst. Kam gleich nach der Abdeckerei. Ich sah Monger an, aber er wich meinem Blick aus. Dr. Borrow, offensichtlich der Verzweiflung nahe, wenn er es auch verbarg, studierte die Löcher in seinen Stiefeln, während ich im Geiste Joan Tyrre hörte, wie sie wirr von der Dunkelheit über dem Tor faselte.
†
Wie schnell sich doch alles ändert, wenn das Herz spricht. All unsere Bedürfnisse und Wünsche werden durcheinandergewirbelt. Wenn manche Leute mir davon erzählt hatten, dass ihnen etwas das Herz zerreiße, hatte ich bisher das Gefühl nicht gekannt, das sie damit beschreiben wollten.
Oder vielleicht war es auch so, dass hier in Glastonbury alle Empfindungen stärker waren, hier, wo sich alle Sinne zu schärfen schienen wie eine Klinge am Wetzstein – die Farben der Gedanken, der Geschmack im Mund, die Bilder, die man mit geschlossenen Augen sah.
Ich lehnte mich an die vertäfelte Wand im George Inn, beobachtete, wie die Sonne sich hilflos gegen die Wolkenmassen zu stemmen suchte. Und dann beherrschte
sie
wieder meine Gedanken, ich sah sie vor mir, wie sie zwischen den großen Steinen nahe der Quelle gesessen hatte, in einem Kreis aus nackten Dornbüschen: die smaragdfarbenen Augen, das alte blaue Kleid, die braun gesprenkelten Arme.
Oh Gott!
«Wie können wir das alles aufhalten?», fragte ich.
Monger, mir gegenüber, schwieg einen langen Moment.
«Wir?»,
fragte er. «Wollt Ihr Euch da wirklich einmischen?»
Ich senkte den Blick, um mein Erröten zu verbergen, und verbannte sie aus meinem Kopf, diese Frau mit den grünen Augen und dem verführerischen Lächeln. Andernfalls hätte ich mich vielleicht verraten.
«Ich muss Euch auch noch nach einem Zimmermann fragen. Jemandem, der Särge fertigt. Ein Totengräber. Ein Pastor.»
«Das hat Zeit bis morgen», entschied Monger. «Ich werde sie zu Euch schicken. Allerdings vermute ich, dass Ihr die Leiche erst begraben dürft, wenn Carew hier ist.»
Als wir im Gasthaus eingetroffen waren, hatte Cowdray uns berichtet, dass Fyche selbst hergekommen war und darauf bestanden hatte, Master Robert in seiner Kammer einer Befragung zu unterziehen. Dudley hatte aber wieder mit glasigem Blick in Schweiß gelegen, sodass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass er
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