Die Gebeine von Zora
einer der früheren Königinnen von Qirib. In einer Aufwallung von Panik schleuderte ich die Vase nach ihm, aber sie ging natürlich durch ihn hindurch und krachte gegen die Wand.«
Khamine gab ein missbilligendes Glucksen von sich. »Geister in meinem Etablissement! Wenn Ihr mir versprecht, niemandem von dieser Heimsuchung zu erzählen, dann will ich Euch den Preis für die Vase erlassen. Mehr als ein Gastwirt ist schon in den Ruin getrieben worden durch das Gerücht, in seiner Herberge spuke es. Diese toten Königinnen sind zweifellos ergrimmt über den Fall des Matriarchats und suchen sich nun an allen Terranern zu rächen, da sie diesen die Schuld an ihrem Niedergang geben. Gute Nacht! Es war mir ein Vergnügen, Euch und Eure berühmten terranischen Gefährten zu beherbergen.« Er entfernte sich unter tiefen Verbeugungen.
XIII.
Der Fluss
Als die Kutsche auf den Landungssteg der Zaidun bog, begannen dichte Nebelschwaden aus der Mündung des Pichide zu steigen, die hier die Breite eines Meeresarms erreichte. In kürzester Zeit war der gesamte Hafen in dicke Watte gehüllt. Die Monde am Himmel waren klar und deutlich zu erkennen; aber Personen, die in nur ein paar Metern Entfernung standen, waren nur noch als graue Schemen auszumachen, und das Schiff und die Hafenanlagen waren vollständig von dem wabernden Brei verschluckt.
»Passt auf, wo ihr hintretet!« warnte Reith seine Gefährten. »Sonst kann es euch passieren, dass ihr euch plötzlich im Fluss wieder findet.«
Als sie sich zum Liegeplatz der Zaidun am Pier vorwärtstasteten, ging der wachhabende Bootsmann den Kapitän wecken. Ozum, in knielangem Nachtgewand, fuhr sich mit seinen Wurstfingern durchlas wirre Haar und sagte:
»Nein, nein, keine Entschuldigungen! Ich kenne Euch gut genug, Meister Ries, um zu wissen, dass Ihr mich nicht ohne triftigen Grund um Mitternacht aus dem Schlaf weckt. Kommt an Bord, flugs!«
»Habt Ihr noch andere Passagiere?« fragte Reith.
»Bis jetzt noch nicht. Wir legen bei Sonnenaufgang ab. Nehmt die Kajüten zwei, vier und sechs. Ich kehre an Varzais Busen zurück.«
Als die Morgensonne den Nebel auflöste, legte die Zaidun, ein viel größeres Flussboot als das von Sarf, vom Landungssteg ab. Unter Rudern und Segel kämpfte sie sich die Mündung des Pichide hinauf. Als sie die Höhe des Treidelpfades am Ostufer erreicht hatten, legten sie an. Die Shaihane wurden an Land getrieben und eingeschirrt. Die lange Schleppfahrt nach Novorecife begann.
Die Passagierquartiere bestanden aus zehn Kajüten im Achterteil des Deckhauses, fünf auf jeder Seite, alle mit Türen zum Deck versehen. Da Ozum keine weiteren Passagiere an Bord hatte, kam jeder Terraner in den Genuss einer eigenen Kajüte.
Alicia, die ihre schlichte krishnanische Tunika trug, die sie sich in Majbur gekauft hatte, verschwand in ihrer Kajüte und kam wenig später mit einem Bündel von Bleistiften und einer Mappe voll unbeschriebenem Papier wieder. Sie setzte sich auf das Deck, den Rücken gegen das Deckhaus gelehnt, und begann zu kritzeln. Als Reith sie ansprach, legte sie den Finger auf die Lippen, sagte »Psst« und schrieb weiter.
Die Fahrt verlief ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Reith unternahm einen zweiten Anlauf, Alicia in ein Gespräch zu verwickeln. Aber sie war in einer ungeduldigen, gereizten Stimmung. Auf alles, was sie in irgendeiner Weise von ihrer Arbeit ablenkte, reagierte sie mit einem unwirschen Knurren.
Marot verbrachte seine Tage damit, an seinen Fossilien herumzuschaben und auf seinem neuerworbenen Musikinstrument zu üben. »Sie hat eine tiefere Tonlage als die andere«, erklärte er Reith. »Ich würde gern Hayakawas Mondschein auf den Ruinen spielen, aber dazu muss ich erst alle Noten transponieren.«
Sich selbst überlassen, vertrieb Reith sich die Zeit damit, auf dem Deck auf und ab zu laufen, zu schlafen, Freiübungen zu machen und sein eingerostetes Französisch durch Unterhaltung mit dem stets freundlichen Marot aufzupolieren.
Sie hatten die Hälfte ihrer Reise bereits hinter sich gebracht, als eines schönen Tages, es ging auf den Mittag zu, Alicia ihre Mappe mit einem Knall zuschlug. »Mehr fällt mir jetzt beim besten Willen nicht mehr ein, obwohl ich hoffe, dass ich hier und da noch ein paar Details nachtragen kann. Entschuldigt, dass ich die ganzen Tage so muffig war, aber ich musste das endlich erledigen.«
Sie stand auf und ging in ihre Kajüte. Als sie zum Mittagessen wieder auftauchte, trug sie zu
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