Die Gebrüder Kip
aber keine Spur von Trümmern gezeigt, und das Schicksal der holländischen Goëlette »Wilhelmina« blieb also nach wie vor in Dunkel gehüllt.
Je tiefer die Sonne hinter den Höhen der Insel hinabsank, desto mehr legte sich der Wind. Das Meer nahm fast ein milchiges Aussehen an und kein Streifchen zeigte sich mehr auf seiner nur von einer langen Dünung bewegten Oberfläche.
Bei Anbruch des Tages befand sich die Brigg sicherlich noch in Sicht der Insel. Sie lag jetzt nur noch zwei Seemeilen von ihr entfernt und vermied vorsichtigerweise eine weitere Annäherung, da hier gefährliche Korallenbänke an manchen Stellen sehr weit hinausreichen. Der »James-Cook« lag übrigens fast ebenso still, als wenn er von seinen Ankern gehalten wäre. Keine Strömung trug ihn weiter, und in großen Falten hingen die Segel an den Raaen. Erhob sich wieder eine Brise, so brauchte man sie nur fallen zu lassen, um Fahrt zu machen.
Gibson und seine Passagiere konnten also bei völlig dunstfreiem Himmel einen außerordentlich schönen Abend genießen.
Nach dem Essen nahmen Hawkins, der Kapitän und der junge Gibson auf dem Hinterdeck Platz.
»Da sitzen wir nun in der schönsten Windstille, sagte Gibson, und ich sehe leider auch nirgends ein Zeichen, das auf zu erwartenden Wind deutete.
– Meiner Ansicht nach wird das ja nicht lange dauern, bemerkte Hawkins.
– Und warum? fragte der Kapitän.
– Weil wir jetzt nicht mitten in der warmen Jahreszeit sind, Gibson, und der Stille (oder Große) Ozean steht nicht in dem Rufe, den Namen zu rechtfertigen, den man ihm etwas eilfertig gegeben hat.
– Das ist schon richtig, lieber Freund. Immerhin werden die Schiffe auch zur jetzigen Jahreszeit meist mehrere Tage von einer solchen Windstille zurückgehalten, und dem »James-Cook« wird es nicht besser ergehen, verlaß dich darauf.
– Zum Glück, erwiderte der Reeder, beherbergt die Insel Norfolk jetzt nicht, wie früher, eine Bevölkerung von Raubgesindel… sonst wäre es nicht gerade erwünscht, in deren Nachbarschaft zu liegen.
– Ja freilich, dann hieße es, scharf Wache halten.
– In meiner Kindheit, fuhr Hawkins fort, hab’ ich von diesen Tollköpfen reden hören, die keine Strafe, keine noch so strenge Kerkerzucht zur Vernunft zu bringen vermochte, so daß die Regierung zu dem Entschlusse kam, sie nach der Insel Norfolk zu deportieren…
– Und da waren sie gut aufgehoben, fiel Nat Gibson ein, einerseits streng bewacht und andererseits verhindert, von einer Insel zu entfliehen, die von Schiffen kaum angelaufen werden konnte.
– Streng bewacht… ja, das waren sie, junger Freund, auch eine Flucht war sehr schwierig auszuführen. Solchen Verbrechern aber, die einmal vor nichts zurückschrecken, ist, wenn die Wiedererlangung ihrer Freiheit in Frage kommt, alles möglich, selbst das, was fast unmöglich erscheint.
– Kamen denn hier öfters Entweichungen vor, Herr Hawkins?
– Jawohl, Nat, sogar ganz unglaubliche! Entweder gelang es den Verurteilten einmal, sich eines dem Staate gehörigen Bootes zu bemächtigen, oder sie erbauten sich auch wohl selbst aus Rindenstücken ein gebrechliches Fahrzeug, wagten sich damit aufs Meer hinaus…
– Und gingen unter hundert Fällen dabei neunzigmal zu Grunde, sagte Gibson.
– Ohne Zweifel, bestätigte Hawkins die Bemerkung des Kapitäns. Wenn sie aber im Gewässer der Insel gelegentlich ein Schiff wie das unsrige trafen, dann stürmten sie an dessen Bord und vertrieben, wenn es anging, die Besatzung. Nachher segelten sie zwischen den Polynesischen Inseln, wo ihre Fährte schwer zu finden ist, als freche Seeräuber umher…
– Jetzt ist so etwas aber kaum mehr zu befürchten,« versicherte Gibson.
Alles, was Hawkins eben gesagt hatte und was auch der Wahrheit entsprach, fiel, wie man sieht, völlig mit dem Plane zusammen, den Flig Balt und Vin Mod ausgebrütet hatten. Obwohl diese nicht auf der Insel Norfolk gefangen waren, erfüllten sie doch dieselben verbrecherischen Instinkte, wie die Deportierten; sie ersehnten weiter nichts, als das zu tun, was diese an ihrer Stelle getan hätten: die ehrsame Brigg des Hauses Hawkins in Hobart-Town in ein Piratenschiff zu verwandeln und ihr Räuberhandwerk mitten auf dem Großen Ozean zu betreiben, wo diesem erfahrungsgemäß so schwer beizukommen ist.
Hatte der »James-Cook« heute also von der Annäherung an die Insel Norfolk nichts mehr zu fürchten, da die Verbrecher von hier nach Port Arthur übergeführt worden waren, so drohte
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