Die Geburt Europas im Mittelalter
abendländischen Welt waren vermutlich Holzplatten mit geschnittenen Reliefs, die seit 1400 verwendet wurden, um Texte auf Papier zu reproduzieren. Diese Methode zur Herstellung so genannter Einblattholzschnitte wurde jedoch nur selten angewandt, weniger als die handschriftliche Transkription, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts von spezialisierten Werkstätten ausgeführt wurde, in denen mehrere Dutzend Kopisten nach dem Diktat eines Meisters arbeiteten. Die Benutzung von Papier war ein erster Fortschritt, aber die entscheidende Erfindung bestand um 1450 in der systematischen Verwendung beweglicher Lettern aus Metall. Es war der Deutsche Johannes Gutenberg, der den Buchdruck in seiner Heimatstadt Mainz ins Leben rief, ganz gleich, ob er ihn nun selbst erfunden oder nur perfektioniert und verbreitet hat. In Mainz gab es seit 1454 eine Werkstatt, die Bücher in einem Druckverfahren mit ausschließlich beweglichen Lettern aus Metall herstellte, die in Matrizen mit handgefertigten kupfernen Hohlformen gegossen wurden. Schon 1457 brachte die Mainzer Werkstatt einen mehrfarbigen Psalter heraus, der außer Schwarz auch Rot und Blau aufwies. In Paris wurde der Buchdruckerkunst 1466 ein Lehrstuhl an der Universität gewidmet, und 1470 öffnete die erste Druckerei. Am Ende des 15. Jahrhunderts hatte sich der Buchdruck fast überall in Europa verbreitet. Zwei Städte setzten sich schnell an die Spitze des Druckgewerbes: Antwerpen, das zum ersten europäischen Wirtschaftszentrum aufgestiegen war, und Venedig, wo sich der Künstler und Verleger Aldus Manutius (um 1450–1515, auch als Manuzio und in Frankreich als Aldo Manucce bekannt) mit seinen Druckerzeugnissen einen exzellenten Ruf erwarb.
Die vor 1500 gedruckten Bücher, die uns erhalten geblieben sind, werden als
Inkunabeln
bezeichnet. Es hat lange gedauert,bis die Revolution der Buchdruckerkunst spürbare Wirkungen zeigte. Die gedruckten Bücher waren teuer, auch wenn es keine Prachtausgaben waren. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts gab es sogar eine Periode, in der das Lesen einen gewissen Rückschlag erlebte. Außerdem hat der Buchdruck erst spät, im Lauf des 16. Jahrhunderts, zu einer Erneuerung der Buchinhalte geführt. Viele Jahre wurden vor allem Bibeln und religiöse Werke aus dem Mittelalter gedruckt. Lange Zeit blieb es dabei, dass der Zierrat der gedruckten Bücher in mittelalterlichen Miniaturen bestand. Dennoch sollte das gedruckte Buch nicht nur das Wissen revolutionieren, sondern auch die Praxis der Lektüre selbst. Europa bereitete sich auf eine neue Leserschaft vor.
Die europäische Welt-Wirtschaft
Das 15. Jahrhundert war auch die Zeit einer weiten Öffnung der europäischen Ökonomie. Der herausragende Historiker dieser Entwicklung ist Fernand Braudel, der, um sie zu beschreiben, den Ausdruck
économie-monde
, «Welt-Wirtschaft», geprägt hat. Welt-Wirtschaft bedeutet die Konstitution eines Raums mit regelmäßigen ökonomischen Tauschbeziehungen, die von einer Stadt oder zentralen Region gelenkt werden. Durch die Einrichtung regelmäßiger Handelsbeziehungen zwischen Nordeuropa, Flandern, den großen italienischen Häfen (Genua, Venedig) und der asiatischen Welt hat sich Braudel zufolge im 14. Jahrhundert eine europäische Welt-Wirtschaft konstituiert, deren Zentrum im 15. Jahrhundert Antwerpen war. Nach dem antiken römischen «Weltreich», das sich auf die Mittelmeerwelt beschränkte, war dieses Handelsnetz Braudel zufolge die erste große Globalisierung im modernen Sinne, die, wie alle Globalisierungen, zu einer Bereicherung der beteiligten Städte, Regionen, gesellschaftlichen Gruppen und Familien führte, aber die Verarmung derer zur Folge hatte, die den Handelsbeziehungen zum Opfer fielen. In zahlreichen Städten nahmen die Verelendung und Marginalisierung eines großen Teils der Bevölkerung zu. Braudel betont, dass ein solcher Prozess nicht nur die ökonomische Ebene erfasst, sondern auch die politische und kulturelle. In der Politik habe die Welt-Wirtschaft einen Zustand hervorgerufen, den man später alseuropäisches Gleichgewicht der Kräfte bezeichnen sollte. Ein Europa der wirtschaftlichen Globalisierung, aber der sich verschärfenden sozialen und politischen Ungleichheiten war geboren.
Ein Europa, das sich öffnet und erblüht
Diese von Wachstum und Öffnung gezeichnete Entwicklung Europas kam in der so genannten Renaissance zur Blüte, trat aber schon im 14. und 15. Jahrhundert glanzvoll zutage. In meinem Buch
Das Mittelalter in
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