Die Geburt Europas im Mittelalter
gingen, um dort ihre eigene Universität zu gründen.
Ein Jahr später, 1410, wurden Wyclifs Werke öffentlich verbrannt, und Johannes Hus wurde exkommuniziert. Er verließ Prag, widmete sich der Predigt und verfasste polemische Schriften. In
De ecclesia
beispielsweise definierte er die Kirche als Versammlung der Prädestinierten und verwarf die Vorrangstellung des Papstes. 1414 folgte er der Ladung vor das Konzil von Konstanz in der Hoffnung, sich verteidigen zu können, wurde aber an Ort und Stelle gefangen gesetzt. Obwohl er alle Beschuldigungen in öffentlicher Sitzung zurückwies, wurde er verurteilt, am 6. Juli 1415 als Ketzer verbrannt und seine Asche in den Rhein gestreut.
Die meisten Tschechen empörten sich über die Verurteilung und griffen seine Ideen auf. So entstand die erste Glaubensspaltung in der Christenheit. Prag fiel in die Hände der Hussiten und erhob sich gegen den Kaiser, der zugleich König von Böhmen war. Der Aufstand nahm noch ernstere Ausmaße an, als sich die Ziele und Vorstellungen der radikalsten Hussitengruppe, der Taboriten, durchsetzten. In religiöser Hinsicht trennten sich die Tschechen von der römischen Kirche und gestatteten den «Laienkelch», die Darreichung des Abendmahls in beiderlei Gestalt an Laien. In nationaler Hinsicht bekräftigte die Bewegung ihre Vorliebe für die tschechische Sprache und tschechische Werte, indem sie sich gegen fremde, insbesondere die deutschen Kulturen wandte. Auch das soziale Gefüge wurde auf den Kopf gestellt, die Bauern auf den ersten Rang erhoben und die feudalen Strukturen abgeschafft. Zwischen 1421 und 1431 führten die Kirche und die deutschen Kurfürsten vier Kreuzzüge gegen die Hussiten. Die hussitischen «Gottesstreiter», vom Glauben beflügelte Bauern, die zu Fuß hinter Wagenburgen kämpften, bezwangen die feindliche Kavallerie und trugen 1428/29 Verheerung und Schrecken in die Lausitz, nach Sachsen und nach Franken. Die Hussitenbewegung war die erste große revolutionäre Bewegung in Europa, und sie versetzte Europa in Staunen. Kaiser Sigismund musste sich auf einen Kompromiss mit den gemäßigten Hussiten einlassen, die Georg von Podiebrad an ihre Spitze stellten. Dieser konnte sich lange als Sieger behaupten. Von 1458 bis 1471 Königvon Böhmen, schwächte er nachhaltig die deutsche Stellung in Böhmen.
Die
devotio moderna
Neben diesen durch die Religion hervorgerufenen Problemen, die Europa im 14. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erschütterten und auf mehr oder weniger gewaltsame Konflikte hinausliefen, ist eine friedliche Entwicklung der christlichen Frömmigkeit zu erwähnen, die in der Tiefe sicher noch mehr Einfluss auf die europäische Empfindsamkeit genommen hat. Es handelt sich um die
devotio moderna
. Diese geistliche Erneuerungsbewegung entsprang der Erfahrung des Tuchhändlersohns Gerhard Groote aus Deventer in den Niederlanden. Groote, der Prediger war, verzichtete 1374 auf seine Pfründen und zog sich in das Kartäuserkloster Monnikhuizen zurück. Danach wanderte er als Bußprediger umher und organisierte religiöse Gemeinschaften aus Priestern, Klerikern und Laienbrüdern, die «Brüder vom gemeinsamen Leben», denen er einen weiblichen Zweig von «Schwestern» hinzugesellte. Groote und seine Anhänger predigten die Reform der Sittlichkeit, bekämpften die Simonie, die Pfründenhäufung, das Konkubinat der Priester und die Missachtung des Armutsgelübdes durch die Ordensleute.
Die
devotio moderna
besaß nicht die Tiefe der mystischen Schau, die sich im 13. und vor allem in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Europa entwickelt hatte, sondern wandte sich konkreten, alltäglichen Problemen zu. Sie lehrte eine einfache und praktische Frömmigkeit nach dem Vorbild des menschlichen Lebens Christi. Aus diesem Milieu ist ein Meisterwerk hervorgegangen, das Andachtsbuch I
mitatio Christi
, das dem 1471 gestorbenen Thomas von Kempen zugeschrieben wird und jahrhundertelang das Lesebuch der frommen Leute beiderlei Geschlechts bleiben sollte. Während die
devotio moderna
die radikaleren Bewegungen der protestantischen Reformation nur am Rand beeinflusst hat, gab sie Ignatius von Loyola wesentliche Anregungen für die Inhalte der jesuitischen Frömmigkeit.
Aufkommende Nationalgefühle
Ein Phänomen psychologischer Natur soll manchen Historikern zufolge die Konflikte geschürt haben, die im 14. und 15. Jahrhundert in Europa aufgetreten sind: das Nationalgefühl. Andere bezweifeln,
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