Die Geburt Europas im Mittelalter
iberischen Sprachen und Italienisch.
Das Französische entstand als eine Mischung der lateinischen mit einer germanischen Sprache, dem Fränkischen. Eine grobe Vereinheitlichung der in Gallien gesprochenen Dialekte führte dazu, dass in Frankreich zwei Sprachen vorherrschten, die
langue d’oc
im Süden und die
langue d’oïl
im Norden. Mit der Zeit setzte sich auf dem Gebiet der
langue d
’
oïl
eine mittlere Mundart durch, das
Franzische
. Das 13. Jahrhundert verhalf der
langue d’oïl
, der Hofsprache der Könige von Frankreich, die als politische Führer und Hüter der Kultur erstarkten, zu ihrem Durchbruch im Norden des Landes und schließlich – infolge der Siege, Eroberungen und Eingriffe der nach Süden vordringenden Nordfranzosen – auch dort, wo bis dahin die
langue d
’
oc
maßgeblich gewesen war.
In England herrschte eine Ausnahmesituation, weil auf seinem Territorium bis ins 15. Jahrhundert drei verschiedene Sprachen gesprochen wurden. Nach der Eroberung durch die Normannen im Jahr 1066 hatten sich dem von den Angelsachsen gesprochenen Altenglisch ein französischer Dialekt, das Anglonormannische, und natürlich Latein hinzugesellt. Während das Englische von den unteren Schichten aus an Terrain gewann und prä-nationalen Charakter erlangte – Eduard I. (1272–1307) war der erste König von England, der diese Landessprache seines Landes sprach –, blieb das Französische bis ins 15. Jahrhundert die Sprache der Macht, der Aristokratie und all derer, die mit der Mode gingen. Die großen Adelsfamilien ließen ihre Kinder in der Normandie studieren, damit sie gutes Französisch lernten.
Ein noch schwierigerer Fall war die Vereinheitlichung des Deutschen. Der Begriff selbst, das Wort
deutsch
, tauchte erst spät und zögerlich im 9. Jahrhundert auf. Sprachlich bewahrteDeutschland lange Zeit eine territoriale Binnengliederung in Nieder-, Mittel- und Hochdeutsch, Friesisch sowie eine kleine, Sorbisch sprechende slawische Enklave.
Auch die politische und ethnische Situation auf der Iberischen Halbinsel brachte Besonderheiten der Hauptdialekte oder -sprachen mit sich, die oft von der politischen Lage abhingen. Nach dem Erlöschen des Mozarabischen, einer Mischung aus christlichen Dialekten und Arabisch («mozarabisch» kommt von dem Wort
mustalrab
oder
mustalrib
, das «arabisieren» bedeutet, ein Begriff, der im 11. Jahrhundert aufkam), hatte das Kastilische im 13. Jahrhundert die meisten anderen Dialekte wie die von León oder Galicien zurückgedrängt und nur Katalanisch und Portugiesisch bestehen lassen, wobei das Galicische auf der ganzen Halbinsel die Sprache der Dichter blieb. Die Vereinheitlichung vollzog sich zu Gunsten des Kastilischen.
In Europa gab es fast überall zwei Sprachen, von denen eine, die lateinische, vor allem den oberen Schichten zugänglich war, die sie mehr oder weniger gelernt hatten. Aber in zunehmendem Maße war die gesellschaftliche und politische Elite darauf angewiesen, die Volkssprachen zu verstehen und zu gebrauchen.
In Frankreich gewann das Franzische unter dem doppelten Einfluss der königlichen Administration und der Pariser Universität im Lauf des 13. Jahrhunderts normativen Charakter gegenüber den Dialekten der
langue d
’
oïl
, obwohl an der Universität selbst der Gebrauch des Lateinischen Pflicht blieb.
Nach Philippe Wolff enthielten die Statuten der Universität Bologna von 1246 eine Prüfungsordnung, der zufolge die Notariatskandidaten ihre Fähigkeit beweisen mussten, die von ihnen auf Latein abgefassten Schriftstücke öffentlich in der Umgangssprache zu verlesen.
Die Sprachsituation in Italien stellt sich so verworren dar, dass viele Linguisten für das 13. Jahrhundert kaum von Italienisch sprechen mögen. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts hielt der Franziskaner Salimbene von Parma die toskanische und die lombardische Mundart für selbständige Sprachen, auf gleichem Niveau wie die französische. Am Ende des Jahrhunderts war Dante der führende Sprachwissenschaftler. In seinem Traktat
De vulgari eloquentia
, den er um 1303 – aufLatein! – schrieb, unterscheidet er 14 Gruppen italienischer Dialekte, die er allesamt herabwürdigt, auch wenn sie als Sprachen angesehen wurden, das Römische ebenso wie das Mailändische, das Sardische, das Sizilianische, das Bolognesische und sogar das Toskanische. Er empfiehlt eine Literatursprache, die er
volgare illustre
nennt und die ihm zufolge alle Dialekte überragt, indem sie von diesem oder
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