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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Angesicht, das voller Schauen steht.

    Ach, ach liegt in der Luft
Ruf offener Liebe. Verhaltet
unter den Schultern den Herz-Geruch;
seid ihr denn Blumen, daß ihr euch aus-
wendet und uns
den besonnenen Raum verwandelt in plötzliche Gärten

    Sieh, der Gott hat sich zu mir entschlossen:
eine Straße stürzt sich aus ihm her,
und jetzt reißt er mirwärts an den Rossen
und sie nehmen alle Himmel quer

    An allen Dingen fühlt sich neu die Frühe.
/ Der schöne Wind geht eitel durch den Hain. /
Oh sieh das Blühen: innen ist die Mühe;
kaum tritt es aus, ist es ein Seligsein.

    Schmerz-Bringerin immer noch geh ich verhüllter
Seele / wage das Antlitz nicht.
Ach, du hast mich gestürzt. Manchmal
seh ich im Sternenschein
meine Stelle unter den Nächten.

    FRAGMENT EINER AUFERSTEHUNG

    Der Engel stemmt mit den Trompetenstößen
die Steine auf – , und sie, in parallelen
Entschlüssen, strecken sich nach ihren Seelen,
die oben stehn, geordnet nach den Größen

    Und zieht mich nach sich wie ein ungern Toter.

    Wenn endlich Drang und Stumpfheit sich entzwein
und jetzt in dir, du Kind von unbekannten
Hinglimmenden, die nie mit Flamme brannten,
auf einmal Wärme wird und Feuerschein:

    dann Engel sein und nieder, ein beschwingter,
der sich zu dir entschließt und tönt und tut,
und eine Klängefolge unbedingter
Gefühle führen durch dein neues Blut.

    Das Selbstverständliche des Paradieses
dir wiederbringen wie ein Wind der bläst,
im Wiesenstilln und im Erklang des Kieses
dir leicht zu wissen geben wie du gehst.

    Dir eine Rose zeigen, diese, drüben,
zu weit für uns und doch schon großgeblüht,
und hunderte Verlorene zu üben
in deinem aufgefundenen Gemüt.

    Sieh, sieh den Fluß, das Ufer und die Bäume,
den Rücken ruhiger Angler, einen Hund,
ist dies noch Dasein, sind es gute Träume?
Freundschaftlich fließt es in den Hintergrund.

    Und dieser Hang ist uns so sanft bereitet:
wir ruhen aus und ahnen daß wir tun,
entzückt daß unser Herz uns überschreitet
und müdgelaufen wie in Kinderschuhn.

    Dies ist so immer , wo ist eine Stelle
an uns die hingeht, fühle: alles weilt,
und klare Dunkelheit und tiefe Helle
ist ohne Unterschiede ausgeteilt.

    Befriedigungen ungezählter Jahre
sind in der Luft, voll Blumen liegt dein Hut
und der Geruch aus deinem reinen Haare
mischt sich mit Welt als wäre alles gut.

    In dieser Welt, wo Unrecht so geschieht
wie Staub sich bildet unter allen Dingen
in allen Fugen des geklafften Daseins

    Deine Seele sing ich, die an mir erstandene.
Da ich vorüberging stand sie im Zwischenraum
rufend nicht, winkend nicht, nur wie abhandene
Dinge, erblinkend kaum.
Bin ich ein Engel denn, daß ich sie gleich ergriff?
Brenn ich so hell in dem Seitenschiff
meiner Einsamkeit?
Sieh, ich erkannte sie
nahte mich, wandte sie
meinem Gesichte zu.
Seele, unscheinbare
oh, wie du staunend warst,
die du mir offenbarst
das Unausweinbare.
Sprich in der Nacht zu mir –
nicht mit der Rede sprich
(Worte die wissen wir),
aber wir wollen dich
geben an Seiendes
und durch Entzweiendes
mit dir hinübergehn
in ein befreiendes
weilendes Weltgeschehn.
Seele, oh daß ich dich
sänge, du steigende.
Daß ich ein Schweigen um deine schweigende
Mitte erhübe,
daß meine Trübe
zerrisse und Fänge von Licht
dich griffen: oh wisse
das Gleichgewicht, rührende Seele.

    MONDNACHT

    Weg in den Garten, tief wie ein langes Getränke,
leise im weichen Gezweig ein entgehender Schwung.
Oh und der Mond, der Mond, fast blühen die Bänke
von seiner zögernden Näherung.

    Stille, wie drängt sie. Bist du jetzt oben erwacht?
Sternig und fühlend steht dir das Fenster entgegen.
Hände der Winde verlegen
an dein nahes Gesicht die entlegenste Nacht.

    JUDITH’S RÜCKKEHR

    Schläfer, schwarz ist das Naß noch an meinen Füßen, ungenau.
Tau sagen sie. / Ach, daß ich Judith bin, herkomme von ihm, aus
dem Zelt aus dem Bett, austriefend sein Haupt, dreifach trunkenes
Blut. Weintrunken, trunken vom Räucherwerk, trunken von mir –
und jetzt nüchtern wie Tau. / Niedrig gehaltenes Haupt über dem
Morgengras; ich aber oben auf meinem Gang, ich Erhobene. /
Plötzlich leeres Gehirn, abfließende Bilder ins Erdreich; mir aber
quillend ins Herz alle Breite der Nach-Tat. / Liebende, die ich
bin. / Schrecken trieben in mir alle Wonnen zusamm, an mir sind
alle Stellen. / Herz, mein berühmtes Herz, schlag an den Gegen-
wind:
wie ich geh, wie ich geh / und schneller die Stimme in mir,
meine, die rufen wird, Vogelruf, vor der Not-Stadt.

    Laß dich nicht

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