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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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wächst mit der Welle –,
uns sei Blume-sein groß.
Spiele die Tode, die einzelnen, rasch und du wirst sie erkennen
wie sie sich schließt die unendliche Strömung der Sterne;

    Starker Stern, der nicht den Beistand braucht,
den die Nacht den andern mag gewähren,
die erst dunkeln muß, daß sie sich klären.
Stern, der schon vollendet, untertaucht,

    wenn Gestirne ihren Gang beginnen
durch die langsam aufgetane Nacht.
Großer Stern der Liebes-Priesterinnen,
der, von eigenem Gefühl entfacht,

    bis zuletzt verklärt und nie verkohlend,
niedersinkt, wohin die Sonne sank:
tausendfachen Aufgang überholend
mit dem reinen Untergang.

    Schweigen. Wer inniger schwieg,
rührt an die Wurzeln der Rede.
Einmal wird ihm dann jede
erwachsene Silbe zum Sieg:

    über das, was im Schweigen nicht schweigt,
über das höhnische Böse;
daß es sich spurlos löse,
ward ihm das Wort gezeigt.

    FÜR ROBERT FAESI
UND FRAU JENNY FAESI

    Wo sich langsam aus dem Schon-Vergessen
einst Erfahrnes uns entgegenhebt,
rein gemeistert, milde, unermessen
und im Unantastbaren erlebt:

    Dort beginnt das Wort, wie wir es meinen;
seine Geltung übertrifft uns still.
Denn der Geist, der uns vereinsamt, will
völlig sicher sein, uns zu vereinen.

    DIE FRUCHT

    Das stieg zu ihr aus Erde, stieg und stieg,
und war verschwiegen in dem stillen Stamme
und wurde in der klaren Blüte Flamme,
bis es sich wiederum verschwieg.

    Und fruchtete durch eines Sommers Länge
in dem bei Nacht und Tag bemühten Baum,
und kannte sich als kommendes Gedränge
wider den teilnahmsvollen Raum.

    Und wenn es jetzt im rundenden Ovale
mit seiner vollgewordnen Ruhe prunkt,
stürzt es, verzichtend, innen in der Schale
zurück in seinen Mittelpunkt.

    Gieb deinem Herzen ein Zeichen,
daß die Winde sich drehn.
Hoffnung ist ohne gleichen
wenn sie die Göttlichen sehn.

    Richte dich auf und verharre
still in dem großen Bezug;
leise löst sich das Starre,
milde schwindet der Bug.

    Risse entstehn im Verhängnis
das du lange bewohnt,
und in das dichte Gefängnis
flößt sich ein fühlender Mond.

    FÜR HANS CAROSSA

    Auch noch Verlieren ist unser ; und selbst das Vergessen
hat noch Gestalt in dem bleibenden Reich der Verwandlung.
Losgelassenes kreist; und sind wir auch selten die Mitte
einem der Kreise: sie ziehn um uns die heile Figur.

    DAS FÜLLHOR N
Geschrieben für Hugo von Hofmannsthal

    Schwung und Form des gebendsten Gefäßes,
an der Göttin Schulter angelehnt;
unsrer Fassung immer ungemäßes,
doch von unsrem Sehnen ausgedehnt –:

    in der Tiefe seiner Windung faßt es
aller Reife die Gestalt und Wucht,
und das Herz des allerreinsten Gastes
wäre Form dem Ausguß solcher Frucht.

    Obenauf der Blüten leichte Schenkung,
noch von ihrer ersten Frühe kühl,
alle kaum beweisbar, wie Erdenkung,
und vorhanden, wie Gefühl …

    Soll die Göttin ihren Vorrat schütten
auf die Herzen, die er überfüllt,
auf die vielen Häuser, auf die Hütten,
auf die Wege, wo das Wandern gült?

    Nein, sie steht in Überlebensgröße
hoch, mit ihrem Horn voll Übermaß.
Nur das Wasser unten geht, als flöße
es ihr Geben in Gewächs und Gras.

    FÜR GERTRUD OUCKAMA KNOOP

    … Erfahren in den flutenden Verkehren,
die durch die wehrlos dichten Wände ziehn,
war er entschlossen, keine zu entbehren,
der Stimmen … , und sie hielten sich an ihn.

    Sie kamen sanft wie der verschwebte Samen,
der oft vom Park her in die Fenster drang;
er kannte nicht den reinen Blumennamen,
der in ihm wuchs aus ihrem Untergang …

    DER MAGIER

    Er ruft es an. Es schrickt zusamm und steht.
Was steht? Das Andre; alles, was nicht er ist,
wird Wesen. Und das ganze Wesen dreht
ein raschgemachtes Antlitz her, das mehr ist.

    Oh Magier, halt aus, halt aus, halt aus!
Schaff Gleichgewicht. Steh ruhig auf der Waage,
damit sie einerseits dich und das Haus
und drüben jenes Angewachsne trage.

    Entscheidung fällt. Die Bindung stellt sich her.
Er weiß, der Anruf überwog das Weigern.
Doch sein Gesicht, wie mit gedeckten Zeigern,
hat Mitternacht. Gebunden ist auch er.

    Glücklich, die wissen, daß hinter allen
Sprachen das Unsägliche steht;
daß, von dort her, ins Wohlgefallen
Größe zu uns übergeht!

    Unabhängig von diesen Brücken
die wir mit Verschiedenem baun:
so daß wir immer, aus jedem Entzücken
in ein heiter Gemeinsames schaun.

    〈ENTWÜRFE AUS ZWEI WINTERABENDEN〉
    Anton Kippenberg in Freundschaft
zugewendet zum 22. Mai 1924

    Prélude

    Warum, auf einmal, seh ich die gerahmte
Park-Quelle unterm Ulmen-Dach?
Das

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