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Die gefährliche Zeugin verschwindet

Die gefährliche Zeugin verschwindet

Titel: Die gefährliche Zeugin verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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über
europäische Königshäuser oder ähnliche bedeutungslose Anstalten. Die Partys
verschlangen Unsummen. Und zu guter Letzt lief Anna einem Anlageberater ins
Messer. Der riet ihr zum Kauf von Aktien — Aktien des Neuen Marktes, neuer
Technologien oder von Internet-Firmen. Aktien, deren Wert so schnell verfiel,
dass man sie getrost im WC deponieren konnte.
    Anna verarmte. Aber sie besaß
noch die große Villa mit dem prächtigen Garten, hinterlassen von Feuchtweg.
Außerdem war sie jetzt in heißer Liebe entbrannt zu — Norbert Becker, dem
Bauunternehmer.
    Dem hatte sie ihr ganzes Leben
gebeichtet, alle Torheiten und unerfreulichen Beziehungen. Nur nicht ihr wahres
Alter. Becker hielt sie für 35.

    Er selbst war 44, sah aber aus
wie Ende fünfzig — wie ein Endfünfziger, der nichts ausgelassen hat, was die
Gesundheit ruiniert. Erst vor kurzem hatte er mit dem Rauchen aufgehört — mehr
als 60 Filterlose pro Tag — nach etlichen Herzattacken. Er hatte Lach-, Sorgen-
und Trinker-Falten im Gesicht, besaß aber schöne Zähne — zum Teil echte — und
braune Locken, die er bis tief in den Nacken wachsen ließ. Er trug Schuhe mit
erhöhten Absätzen, was ihn zu 167 cm Körpergröße verhalf. Damit war er genauso
groß wie Anna. Barfuß überragte sie ihn um fast vier Zentimeter.
    Er war gelernter Maurer. Dann
bescherte ihm der Zufall die Bekanntschaft einer 89-jährigen, kränklichen Dame,
die zwar ein sehr großes Grundstück am Stadtrand besaß, aber keine Erben hatte.
Becker beschwatzte sie so lange, bis sie ihn als Sohn adoptierte. Kurz darauf starb
sie im Altersheim. Becker hörte auf als Maurer und wurde Bauunternehmer, tat
sich nämlich zusammen mit einem Typ namens Lothar Henrich, der mehrere Jahre im
Gefängnis gesessen hatte wegen Unterschlagung, Urkundenfälschung und Betrug.
Aber Henrich hatte ein paar Semester Architektur studiert, war also der
geeignete Partner.
    Die Firma Becker
& Henrich bebaute das Grundstück am Stadtrand mit einer riesigen
Anlage von Eigentumswohnungen, die allesamt Schrott waren. Das freilich merkten
die Käufer erst eine Weile nach dem Einzug. Auf den ersten Blick war alles
Luxus und Gediegenheit. Die beiden verdienten klotzig — und gerieten sich zum
ersten Mal in die Haare: wegen der Aufteilung des Gewinns. Auch in der
Folgezeit — denn nun wurden andere Bauvorhaben angegangen — belauerten sich die
beiden und missgönnten sich den hälftigen Anteil.
    Sie waren seelenverwandt, vom
gleichen üblen Strickmuster. Irgendwann musste es zum Knall kommen. Wer würde
wen aus der Firma drängen? Die Zeit bis dahin überbrückten sie mit einer
gemeinsamen Leidenschaft: Beide frönten der Jägerei. Wild abzuschießen, war für
sie Nervenkitzelei und inneres Highlight ( Höhepunkt ) zugleich.
    Jetzt legte sich ein früher
Abend über den Stadtteil Vernweh und Beckers Protzauto glitt
schlachtschiffartig durch die geöffnete Einfahrt des Villen-Grundstücks und
hielt vor Annas Haus.
    Anna stand auf der Türschwelle,
umhüllt von ihrer Haarflut.
    Becker, etwas außer Atem,
stürmte auf sie zu und schloss sie in die Arme.
    „Hallo, Kleines! Wo brennt’s
denn?“

    Um sie zu küssen, musste er
sich leicht auf die Zehenspitzen recken, denn in der Eile hatte er die falschen
Schuhe angezogen — die mit den normalen Absätzen. Die trug er im Büro. Wegen
der Bequemlichkeit. Mit den speziellen fühlte er sich immer ein bisschen wie
auf Stöckelabsätzen. Und sein Partner Henrich — der 188 cm groß war — fragte
manchmal feixend, ob er auch Nylonstrümpfe trage mit Naht.
    „Ach, Norbert!“ Anna zitterte.
    „Was ist?“
    „Ich habe das Tonband
eingeschaltet. Es ist alles auf Band. Ganz von Beginn an. Weil das Band noch
dran gestöpselt war — am Telefon. Lydia hatte mir doch den Zeitungsartikel
vorgelesen über Schulze-Glasknie. Das war so super, dass ich’s mir später
nochmal anhören wollte. Aber dann kam der Anruf.“
    „Beruhig dich erst mal.“
    „Kann ich nicht. Verbrecher
haben Irma entführt.“
    Er begriff nicht sofort. Wer
ist Irma?, überlegte er. Ach so, ihre Schwester, die Kommissarin.
    „Echt wahr?“
    „Ja. Du musst dir alles
anhören.“
    „Klar. Mache ich.“
    Während sie ins Haus gingen,
versuchte Anna zu erklären. Aber ihr Gerede war so wirr, dass er daraus nicht
klug wurde. Überhaupt: Gibt’s denn das im deutschen Alltag — im wirklichen
Leben: Dass eine Polizistin entführt wird? War doch wohl ein Scherz.
    In dem gartenseitigen
Livingroom, wie Anna

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