Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gefährtin Des Lichts erbin2

Die Gefährtin Des Lichts erbin2

Titel: Die Gefährtin Des Lichts erbin2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jemisin
Vom Netzwerk:
dennoch zu tun, weil Sonnenschein es selbst gesagt hatte: es gab einen Gott, der die Mörder seiner Kinder zur Rechenschaft zog. Doch ich wusste auch aus der Geschichte meines Volkes, dass Lord Na- hadoth es nicht dabei bewenden ließ. Er könnte auf die Idee kommen, die Lichter auszulöschen, indem er die ganze Stadt Schatten vernichtete oder sogar die ganze Welt. Wir waren nichts für ihn — weniger als nichts. Verräter und Aufseher. Es wäre ihm wahrscheinlich ein Vergnügen, uns alle sterben zu sehen.
    Dann eben die Graue Lady. Sie war einmal sterblich gewesen und zeigte immer noch Anteilnahme am Schicksal der Sterblichen. Doch wie konnte ich sie erreichen? Ich war kein Pilger — ich hatte sie nur jahrelang ausgenommen. Um zu einem Gott zu beten — um seine Aufmerksamkeit zu erregen — musste man seine Natur kennen. Ich kannte nicht einmal den wahren Namen der Lady. Dasselbe galt für nahezu alle Gottkinder, die mir einfielen, einschließlich Lady Nemmer. Ich wusste einfach nicht genug über sie.
    Da kam mir eine Idee. Ich schluckte, und meine Hände waren plötzlich klamm. Es gab ein Gottkind, dessen Natur einfach und schrecklich genug war, dass jeder Sterbliche es herbeirufen konnte. Der Mahlstrom wusste, dass ich das eigentlich nicht wollte.
    »Geh zur Seite«, sagte ich zu dem kleinen Mädchen. Sie murmelte etwas und schlüpfte hinaus. Auf einer Hand krabbelte ich hinaus ins Freie. Das Mädchen wollte wieder hineinkriechen, aber ich packte ihre knochigen Beine. »Warte. Gibt es hier irgendwo so etwas wie einen Stock? Etwas, das ungefähr so lang ist.« Ich hob beide Arme und schnappte nach Luft, als mein verletzter Arm sich schmerzhaft verkrampfte. Schließlich schaffte ich es, die geschätzte Länge mit meinem gesunden Arm zu verdeutlichen. Wenn ich fliehen musste, wollte ich wenigstens eine Möglichkeit haben, mir meinen Weg zu suchen.
    Das Mädchen sagte nichts. Wahrscheinlich starrte sie mich eine Sekunde oder zwei an. Dann huschte sie davon. Ich wartete gespannt und hörte in der Ferne Kampfgeräusche. Erwachsene riefen, Kinder schrien, Trümmer zerbarsten und zersplitterten. Das klang beunruhigend nah. Dieser Kampf dauerte sehr lange, obwohl ein Gottkind darin verwickelt war. Und das bedeutete entweder, dass dort eine Menge Lichter waren, oder dass Dateh ihn bereits erwischt hatte.
    Dann kehrte das Mädchen zurück und drückte mir etwas in die Hand. Ich befühlte es und lächelte. Es war ein Besenstiel. Dieser war an einem Ende abgebrochen und zersplittert, aber sonst perfekt.
    Jetzt kam der schwierige Teil. Ich kniete mich hin und neigte meinen Kopf. Dann atmete ich tief ein, um meine Gedanken zu beruhigen. Ich horchte in mich hinein und versuchte, in dem Sumpf ein Gefühl zu finden. Ein ganz bestimmtes, antreibendes Verlangen. Einen Hunger.
    »Lil«, flüsterte ich. »Lady Lil, bitte erhöre mich.«
    Schweigen. Wieder richtete ich meine Gedanken auf sie und stellte sie mir vor: nicht ihre Erscheinung, aber das Gefühl ihrer Anwesenheit. Das erdrückende Gefühl vieler Dinge, die nur mühsam in Schach gehalten wurden. Ihr Geruch nach verdorbenem Fleisch und schlechtem Atem. Das Geräusch ihrer surrenden, unaufhaltsamen Zähne. Wie fühlte es sich an, so wie sie ein ständiges Verlangen zu haben? Wie fühlte es sich an, sich so sehr nach etwas zu sehnen, dass man es schmecken konnte?
    Vielleicht ähnelte es dem Gefühl, das ich hatte, weil Madding für mich auf ewig verloren war.
    Ich umklammerte den Besenstiel, und mein Herz wurde von Emotionen überschwemmt. Ich rammte das gezackte Ende in den Schmutz und kämpfte gegen das Verlangen an, zu weinen und zu schreien. Ich wollte ihn zurück. Ich wollte seine Mörder tot sehen. Das Erste konnte ich nicht haben, aber das Letztere war in Reichweite, wenn ich nur jemanden fand, der mir half. Die Gerechtigkeit war so nah, dass ich sie schmeckte.
    »Komm zu mir, Lil!«, schrie ich. Mir war es egal, ob die Lichter über den Schrottplatz streiften und mich hörten. »Komm - die Dunkelheit verdamme dich! Ich habe ein Festmahl, das selbst für dich schmackhaft sein dürfte!«
    Und sie erschien. Sie kauerte vor mir mit ihrem goldenen Haar, das verknotet über ihre Schultern hing. Ihre Augen mit den Flecken des Wahnsinns waren scharf und wachsam.
    »Wo?«, fragte Lil. »Welches Festmahl?«
    Ich lächelte grimmig. »In meiner Seele, Lil. Kannst du es schmecken?«
    Sie sah mich lange an. Ihr Ausdruck veränderte sich von zweifelnd zu wachsender Anerkennung.

Weitere Kostenlose Bücher