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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sich nicht länger nach dem alten Leben mit Aurel, weil es für Sehnsucht eines Ziels bedurfte, auf das man sich richten konnte. Doch Aläis richtete sich auf nichts, sondern drehte sich im Kreis, so schnell und wild und wirr, dass aus den vielen Gesichtern um sie herum eins wurde, und dieses eine jeder und alles hätte sein können – selbst Aurel. Manchmal, wenn sie die Taverne noch nüchtern betrat und irgendjemand »hübsches Mädchen!« schrie, wünschte sie sich, er könnte es hören und müsste sich fragen, wie er sie jemals hatte übersehen konnte. Doch dann trank, würfelte, sang sie, ergriff sogar einmal selbst die Laute – und seine einstige Blindheit schmerzte nicht mehr, weil sie selbst blind für alles wurde.
    Marguerite nannte sie »meine liebe Freundin«, und irgendwann glaubte Aläis auch, dass sie es waren – gute Freundinnen, fast Schwestern –, obwohl sie sich später nicht erinnern konnte, viele Worte mit ihr getauscht zu haben.
    Einmal, als sie klar im Kopf war, wagte sie zu fragen, wer der Vater von Roselina sei, doch Marguerite lächelte nur vielsagend, blieb aber stumm. Giacinto Navale, da war sich Aläis sicher, konnte es nicht sein. Das Herz, einer einstigen Geliebten ein schönes Leben zu bieten und obendrein für einen Bastard zu sorgen, der noch dazu ein Mädchen war, besaß er nicht. Jedoch – dies war der Schluss, zu dem sie letztlich kam – würde es zu ihm passen, dem wahren Kindsvater einen Gefallen zu tun und umgekehrt auf dessen Gefälligkeit zu setzen, was wiederum bedeutete, dass jener hohen Ranges war. Wahrscheinlich waren das die meisten, denen sie nächtens begegneten, auch wenn diese nur im Sonnenlicht auf Ehre und Würde Wert legten, im Finsteren aber nach jener Geselligkeit suchten, die ein steifer Hof nicht gewährte.
    Rasch lernte Alaïs, warum Frauen wie Marguerite Tavernen betreten konnten, als wären sie dort zu Hause. Warum man ihnen teuren Wein anbot, ohne je eine andere Gegenleistung als ein spöttisches Wort einzufordern, und begeistert klatschte, wenn sie tanzten: Die Männer von Avignon waren leichter zu amüsieren und zufriedenzustellen als anderswo – schlichtweg, weil es viel zu wenig Frauen zu ihrer Unterhaltung gab.
    Zu der
Familia
der Kardinäle gehörten Kapläne und Sekretäre, Knappen und Kammerdiener, aber keine Haushälterinnen und so gut wie keine Mägde. Die Ritter wiederum waren meist unverheiratet und teilten sich nicht selten ein Haus, desgleichen wie die vielen Juristen, die in der Kanzlei des Papstes oder für die verschiedenen Tribunale arbeiteten. Manche von ihnen hätten sich nie herabgelassen, einen derartigen Sündenpfuhl aufzusuchen, einige aber brachten nicht die Willenskraft auf, sich den Verlockungen zu widersetzen, und umso mehr gaben jene der Versuchung nach, die niedrigere ämter innehatten: die Notare, die Kuriere und Schreiber. Die meisten stammten nicht aus Avignon, sondern kamen von weither, und das Heimweh und das steife Zeremoniell ketteten die weniger Frommen und weniger Ehrgeizigen aneinander und trieben sie in diese heimliche, kleine Welt.
    Alsbald waren Alaïs die meisten Gesichter vertraut, und zu einigen dieser Gesichter fielen ihr irgendwann auch Namen ein: Da war Imbert Guine, einer der Sekretäre des Arnaud de Trian – jener ein enger Anverwandter des Papstes, Justizmarschall und zugleich Verwalter des Venaissain. Anstatt sich im Ruhme seines Herrn zu sonnen, klagte Imbert stets über seine steifen Hände, weil jener ihm so viel zu schreiben aufnötigte.
    Dann gab es Vidal Olvenqui, einer der fünf Priester, die nebst Notaren, Kurieren, Schreibern und Juristen dem Schatzmeister dienten, und der zu weinen begann, wenn er zu viel getrunken hatte.
    Und schließlich lernte sie Christophe Bedesque kennen, einen Gascogner, der zum Gefolge des Bischofs von Bordeaux gehörte. Jener kam, wie viele seinesgleichen, zu einem Ad – Limina – Besuch nach Avignon, und wohingegen man den Priestern eine angemessene Unterkunft bot, mussten sich die einfachen Dienstboten selbst eine besorgen. Viele von ihnen durchsoffen die Nacht lieber in Tavernen, als sich in dreckigen Herbergen die Krätze zu holen.
    Nur drei Tage war er hier – und nutzte jede freie Minute, um Alaïs’ Gunst zu erringen. Zuerst warf er ihr nur hungrige Blicke zu, dann ließ er ihr Wein nachschenken, und ehe sie nach dem Kelch greifen konnte, hatte er ihn schon gehoben, um ihn an ihre Lippen zu führen. Flüchtig stießen ihre Finger zusammen, die seinen

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