Die Gefährtin des Medicus
den Blick in die Runde, »wer will nun Papstwein saufen und wer hat zu viel Angst, ob dieser Anmaßung in die Hölle zu kommen?«
Ob der Wein für den Papst bestimmt war oder nicht – Marguerite trank ihn in jedem Fall wie Wasser. Drei Becher kippte sie herunter, der letzte war mit Muskat gewürzt, wie es einer neuen Mode entsprach. Als es freilich ans Bezahlen ging, wandte sie sich hilfesuchend an Joanon.
»Willst doch gewiss solch armen Mägdelein wie mir und meiner lieben Freundin deinen Großmut beweisen.«
Und noch bevor der andere etwas sagen konnte, säuselte sie schon: »Hab vielen Dank!«
Ihre Bewegungen wurden weich und katzenhaft.
»Du könntest mir deinen Dank gern tatkräftiger beweisen«, gab der Mann mit einem feuchten Blick zurück, der erneut wohlwollend über Marguerites Leib glitt. Alaïs, der der Wein heiß in den Kopf gestiegen war, erwartete schon, er würde mit den Händen danach greifen. Doch zu ihrem Erstaunen wahrte er Abstand.
»Wenn es ein Kuss ist, so vergiss es!«, blökte Marguerite spöttisch.
»Würde ich das wagen?«, grinste er. »Nein, ich dachte nur, wenn wir diese unerträgliche Musik schon zu ertragen haben …«, er deutete auf den Troubadour, der eine sichtlich beleidigte Miene machte, »dann könntest du vielleicht dazu tanzen.«
Marguerite stellte den Kelch so schwungvoll ab, dass der Wein hochspritzte. Dicht saßen die Männer gedrängt, doch nun wichen sie zurück, um ihr Platz zu machen.
Über ihre Köpfe hinweg lächelte sie Alaïs zu. Jung und mädchenhaft wurden ihre erschlafften, etwas aufgedunsenen Züge, und jene Gier, mit der sie in der Speisekammer das Essen in sich hineingestopft hatte, war hier eine unbändige, weinselige, lallende Lebenslust, die keinen Gedanken ans Morgen verschwendete.
»Nun komm, Alaïs!«, lockte sie. »Vermagst doch sicher auch deine Hüften zu schwingen. Lass uns den armen Männern diesen Gefallen tun. Sie kriegen doch sonst kaum etwas Schönes zu sehen.«
Die Männer grölten ermunternd, und Alaïs fühlte sich gleichzeitig aufgestachelt, ihnen zu gefallen, und beschämt, sich derart preiszugeben. Noch röter wurde ihr Gesicht, und als Marguerite sie nun an der Hand nahm und mit sich zerrte, sträubte sie sich kurz.
»Sei doch nicht so schüchtern!«, traf sie eine lockende Stimme. »Tanz, mein hübsches Mädchen! Ich geb dir auch den Takt vor!«
Prompt begannen die Männer, mit den Händen zu klatschen. Während Marguerite die Hände in die Hüften stemmte und sich so hurtig im Kreis zu drehen begann, dass ihr Kleid sich blähte, stand Alaïs immer noch steif da. Sie konnte tanzen, sie hatte getanzt, damals auf dem Dorfplatz von Saint – Marthe, als Remis Sohn die Flöte spielte und sie alles gegeben hätte, um Aureis Blick auf sich zu ziehen. Ihre Haare waren ihr um den Kopf geflogen, Schweiß hatte ihr Gesicht bedeckt, die Fußsohlen gebrannt.
»Nun, tanze doch auch, schöne, fremde Azalaïs!«
Ja, sie konnte tanzen – aber wollte sie es auch, nun, da es Aurel nicht zu betören galt, nur Fremde, die bereits girrten und lachten, noch ehe sie überhaupt einen Schritt getan hatte? Nun, immerhin glotzten sie sie alle an, riefen sie beim Namen, sorgten dafür, dass ihr Weinkelch nicht leer wurde, ganz anders als Aurel – Aurel, der sie vergessen und verraten hatte.
Wenn er sein eigenes Leben in Avignon hatte, warum nicht sie das ihre?
»Aber natürlich tanze ich!«, rief sie da plötzlich laut. Ein schrilles Kieksen folgte den Worten und riss auch dann nicht ab, als sie dem Troubadour das Zeichen gab, mit dem Lautenspiel fortzufahren und sich wild im Kreis zu drehen begann.
Wochen folgten, an die sich Alaïs später kaum erinnern konnte. Tagsüber verbrachte sie Zeit mit Roselina oder sie schlief – nunmehr in der Kammer von Marguerite, die sie auch weiterhin von der täglichen Arbeit in der Bäckerei entband. Nachts soff sie Wein, bis sie zu trunken war, um an etwas anderes zu denken als an das Hier und Jetzt. Und jenes Hier und Jetzt bestand aus Tanz und Gesang und lachenden Gesichtern – ein eintöniges Treiben, das Aläis freilich nie als eintönig empfand, weil sie eben zu trunken war, um darüber nachzudenken. Sie tanzte wilder, sang mutiger und lachte lauter, als sie es je getan hatte, nicht nur, weil sie das alles lustig fand, sondern weil ihr alsbald zu schwindlig war, als dass sie zwischen lustig und ernst, glücklich und unglücklich, verzweifelt und fröhlich hätte unterscheiden können. Sie sehnte
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