Die Gefährtin des Medicus
fragte sie nun, da es für solche Bedenken eigentlich zu spät war. »Ich meine, dich hier bedienen … mich hierher einzuladen …«
»Kann tun, was ich will«, meinte Marguerite knapp.
»Nun«, setzte Alaïs an, »nun, dann könntest du vielleicht auch wollen, dass ich nicht länger in dieser heißen Bäckerei zu schuften habe. Immerhin …«, sie machte eine kurze Pause, »immerhin könnte Roselina wieder einmal meine Hilfe brauchen und …«
»Wie viel Brot hier gebacken wird und von wem, ist mir völlig gleich. Meinetwegen kannst du es gerne bleiben lassen«, Marguerite zuckte unwirsch die Schultern und schien leugnen zu wollen, dass sie Alaïs mit harten Worten die Schufterei befohlen hatte. Plötzlich grinste sie. »Ich sehe schon: Mit dir kann man Spaß haben. Lässt dich nicht unterkriegen und nimmst, was du bekommst – gerne auch mehr.«
Alaïs lag es auf den Lippen, zu sagen, dass es nicht ihre Idee war, Giacintos Speisekammer zu plündern und sich an den teuersten Speisen zu vergreifen. Doch ehe sie den Mund auftat, beugte sich Marguerite so dicht zu ihr, dass deren Locken ihr Gesicht kitzelten, und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Als Alaïs das verschwörerische Grinsen erwiderte, das um Marguerites Mund spielte, fühlte sie sich zum ersten Mal, nachdem Aurel sie schmählich im Stich gelassen hatte, so beschwingt und abenteuerlustig wie einst an seiner Seite.
----
XVI. Kapitel
----
Avignon war eine Stadt, wo es mehr Priester gab als anderswo und mehr Beamte, mehr Händler und mehr Steinmetze, mehr Häuser, mehr Kirchen – und mehr Tavernen. Die einen mochten rauchige, finstere Spelunken sein, in denen man sich die Krätze holte, die anderen heimelige Stuben, in denen Kräuter in das Herdfeuer geworfen wurden, um für Wohlgeruch zu sorgen – doch hier wie dort suchte man dasselbe: sein Leben für einige Stunden zu vergessen, mit Wein, mit Tanz, mit Gesang.
Ehe Marguerite sie am nächsten Tag dorthin mitnahm, hatte Alaïs nie einen vergleichbaren Ort gesehen. Sie konnte sich an Streitgespräche ihrer Eltern erinnern, wenn ihre Mutter dem Vater vorwarf, er hätte in der Jugend viel zu viel Zeit damit verbracht, sich beim Würfelspiel zu verschulden oder sich sinnlos zu betrinken. Woraufhin der Vater lachend den Kopf geschüttelt hatte: »Gespielt habe ich ein wenig zu viel, das gebe ich zu, aber Wein habe ich nie recht vertragen und mich immer zurückgehalten.«
Alaïs, so stellte sich heraus, lernte den Wein zu vertragen. Sie gewöhnte sich mit der Zeit auch an die Enge, den Schweißgeruch, das Grölen und die dreist zupackenden Hände, selbst an die krächzende Stimme mancher Sänger, die sich Troubadoure schimpften.
Bereits am ersten Abend hörte sie einen, der irgendeine fromme Legende zum Besten gab. Schon als sie sich der Taverne näherten, waren die schiefen Töne zu vernehmen – unerträglich aber wurden sie, kaum öffnete Marguerite die knarzende Tür.
»Wer will denn das hören?«, schimpfte Marguerite, noch ehe er die erste Strophe vollendet hatte. »Das klingt ja so erbärmlich, als würde man eine Katze ersaufen!«
So dicht hing in dem niedrigen, windschief gebauten Raum der Dunst, dass Alaïs kaum das Gesicht des Sängers erkennen konnte und noch viel weniger das eines Fremden, der nun zu dessen Verteidigung einschritt.
»Ach Marguerite«, sprach er ganz selbstverständlich ihren Namen aus, was verriet, dass sie eben so oft hier zu Gast war wie er selbst. »Lass ihn mit deiner spitzen Zunge in Ruhe, den armen Mann! Es gibt doch kaum mehr Troubadoure.«
»Was auch sein Gutes hat, wenn alle so schlecht singen wie er«, nörgelte Marguerite.
»Aber, aber«, wehrte sich der Troubadour nun selbst. »Ich singe euch von Saint Trophime, über dessen Leben ein gewisser Raimond Féraut berichtet hat.«
»Wenn dein Heiliger so fromm ist wie an diesem Ort die Pfaffen, dann weiß ich, warum du mit derart schiefer Stimme singst«, höhnte Marguerite, um dann hinzuzusetzen: »Im übrigen singst du nicht nur absonderlich, sondern sprichst mit fremdem Dialekt. Woher kommst du?«
Wenn es ihr darum gegangen war, seinen Gesang zum Verstummen zu bringen, dann hatte sie es nun geschafft. Mit sichtlichem Stolz baute sich der Mann vor ihr auf: »’s ist lange her, dass die guten Musiker und Sänger aus dem Süden kamen. Troubadoure aus dem Languedoc oder der Provence sind selten geworden. Ich stamme aus Paris, wie die meisten meiner Zunft.«
Alaïs riss die Augen auf. Nie hatte sie einen Menschen
Weitere Kostenlose Bücher