Die Gefährtin des Medicus
verlieren.«
Ihr Blick wurde prüfend. »Das hast du doch noch nicht, oder? Du liebst doch niemanden, den zu lieben sich nicht lohnt?«
Alaïs kaute verlegen auf ihren Lippen, um schließlich unwirsch zu erwidern: »Gewiss nicht!«
Viel später erst sann sie darüber nach, ob sie nicht doch gelogen hatte, weil ihr Herz in Wahrheit Aurel gehörte. Doch je länger sie nachdachte, desto mehr zweifelte sie daran. War die Erregung, die er in ihr heraufbeschwören konnte, nicht bloß jene, die ihn befiel, witterte er einen Leichnam oder einen Kranken in seiner Nähe? Und war es nicht unsinnig, dieses Maß an Eigennutz für Liebe zu halten, und die Leere, die ohne ihn in ihremLeben zu klaffen schien, für geopfertes Herzblut? Eine Leere im übrigen, die sie, wenn auch nicht endgültig zuschütten, so doch betäuben konnte, und die darum kaum mehr Schmerz gebar und noch weniger Zorn?
Wortlos gingen sie an diesem Abend wieder in die Taverne. Alaïs blickte unauffällig in Christophes Richtung und war enttäuscht, dass er sie missachtete, anstatt wie bisher hungrig nach ihr Ausschau zu halten. Doch die leise Enttäuschung nagte nicht lange an ihr. Morgen schon würde er ohnehin nicht wiederkehren, und an einem gab es in Avignon keinen Mangel: an jungen Männern, auf die zu Hause kein Weib wartete und die die verschwiegene Dunkelheit nutzten, um der Geselligkeit zu frönen und sich an der Hoffnung zu laben, sie wären nicht ganz allein auf dieser Welt.
Mit jenem guten Appetit, den Marguerite in Navales Speisekammer gezeigt hatte, griff sie auch in den Tavernen zu. Sie erzählte zwar gern von den außergewöhnlichen Köstlichkeiten des päpstlichen Hofs, und wenn sich in Navales Kammer eine blumenför–mig gebackene Pastete aus Datteln, Mastix und Zimt stibitzen ließ, aß sie gern davon. Doch Alaïs hatte das Gefühl, dass ihr das Einfache und Fette noch besser schmeckte: Hähnchen und Schweinefleisch, auch ohne die teuren Gewürze gebraten. Wenn sie an einem Knochen oder Rippchen nagte, triefte oft das ganze Gesicht vor Fett, doch sie scherte sich nicht drum und wischte es sich erst viel später mit dem Ärmel ab.
Alaïs aß zwar ebenfalls mit gutem Appetit und frönte dem Wein, dass sie am nächsten Morgen oft mit bohrenden Kopfschmerzen erwachte und das Licht meiden musste – und doch widerte sie, die sie mit Caterinas strengen Tischsitten aufgewachsen war, Marguerites Anblick an.
»Ich weiß, ich weiß«, bekundete jene oft kreischend vor Lachen, obwohl Alaïs ihr Missfallen nur mit Blicken, nicht mit Worten bekundete, »du bist eine, die selbst mit diesem Ding umgehen kann, das man Gabel nennt. Ich freilich nicht. Versprich mir …«Ihre Stimme wurde verschwörerisch leise. »Versprich mir, dass du es Roselina beibringst. All das, was zum Leben einer feinen Dame gehört und was ich niemals beherrschen werde. Versprich es mir!«
Seit Alaïs ihr von der adeligen Herkunft ihrer Eltern erzählt hatte, war sie für Marguerite an Wert gestiegen, und sie zögerte nicht, dies zu ihren Gunsten auszunutzen. Als Marguerite von ihr forderte, Roselinas Erziehung zu überwachen, so versprach sie es gerne, nicht nur, weil ihr mit der Zeit an dem bleichen, altklugen Kind lag, sondern auch, weil sie Marguerite irgendwie mochte. Sie wurde nicht schlau aus ihr, und Marguerite zu mögen, hieß immer zugleich ein wenig angeekelt, befremdet oder verwirrt zu sein. Doch die Maßlosigkeit der anderen verhalf ihr dazu, Teil eines verrückten Lebens zu sein, wo das Trachten nach einer Ordnung auf jene Menschen abgeschoben wurde, die irgendwo da draußen in ebenjenen wüst Feiernden ihr geheimes Vorbild sahen.
In einer der Nächte erlebte sie Marguerite von einer wiederum neuen Seite. Der Herbst kündigte sich mit schneidender Kälte an. In weiter Ferne kratzte das Morgengrauen an der Nacht, doch noch war es zu dunkel, um den Unrat zu sehen, auf den sie traten – was durchaus sein Gutes hatte, wie Alaïs befand. Obwohl frische Luft auf sie klatschte wie kaltes Wasser, war ihr Geist vom Wein betäubt. Ihr Gang geriet schwankend, ihre Worte nuschelnd, indes Marguerite wieder Herrin ihrer Sinne war, als streifte sie die Stunden in der Taverne ab wie ein altes Gewand. Alaïs verließ sich ganz auf sie, als sie den Weg nach Hause suchten, hängte sich an ihrem Arm ein und bemühte sich lediglich, nicht zu stolpern.
»Das Leben macht Spaß hier in Avignon«, lallte sie. »Keine Arbeit, genug zu essen, die Freiheit, zu tun, was man
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