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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gesehen, der aus Paris kam – eine jener riesigen Städte, die selbst einen Ort wie Avignon in den Schatten stellten.
    Marguerite gab sich weniger beeindruckt. »Stimmt es, dass in Paris die Häuser noch schiefer und kleiner und enger sind als hier?«
    Einer der Männer, die weiter hinten um einen Tisch saßen und dem Geplänkel bislang nur mit halbem Ohr gefolgt waren,lachte. »Noch kleiner und noch schiefer und noch enger ist gar nicht möglich!«
    Der Troubadour plusterte sich auf, doch ehe er ein Wort zur Verteidigung seiner Geburtsstadt sagen konnte, war Marguerite bereits weggegangen.
    »Dann sing lieber von Paris anstatt von den Heiligen!«, war das Einzige, was sie ihm über ihre Schultern noch zuwarf.
    Schon war sie an den Tisch der Männer getreten, die hinten im Raum saßen. »Schenkt mir Wein ein, damit ich dieses Gekrächze ertragen kann!«
    »Ach Gott, Marguerite!«, rief einer der Männer. »Bist doch ein starkes Weib, kannst sicher noch mehr ertragen als nur das.«
    »Natürlich kann ich das!«, lachte sie und warf ihren Kopf in den Nacken. Die Blicke der Männer blieben an ihrer hellen Kehle hängen und wanderten tiefer zum Ausschnitt ihrer Tunika. Jene Wirkung schien Marguerite bezweckt zu haben, denn eine Weile verharrte sie so, ehe sie den Kopf wieder senkte. »Aber eben dazu brauche ich Wein.«
    Der Mann rief der Wirtin einen Befehl zu. Zugleich wanderte sein Blick von Marguerite zu Alaïs. »Scheinst mir nicht die Einzige zu sein, Marguerite, die eine trockene Kehle hat. Wer ist das schüchterne Mädchen, das du mitgebracht hast?«
    In der Tat hatte Alaïs, seit sie die Taverne betreten hatten, alles nur aus gesenkten Augen betrachtet. Als Marguerite vor einigen Tagen in der Speisekammer damit geprahlt hatte, dass sie ihr nicht nur die erlesensten Speisen in Avignon auftischen könnte, sondern auch den besten Wein und das obendrein an dem verruchtesten Ort der Stadt, war ihr das nach einer Abwechslung ganz nach eigenem Geschmack erschienen. Doch nun war sie von den vielen Eindrücken, die auf sie einprasselten, eher verstört.
    Dicht standen die Bänke aneinander, sodass die Rücken derer, die an einem Tisch saßen, an die der anderen stießen und dort, wo sich die Kleidung hochgeschoben hatte, nacktes, verschwitztes Fleisch aufeinanderrieb. Rauch stand zum Schneidendick, er waberte von jenem Kamin herüber, wo auf einem Spieß Spanferkel und Hühnchen brieten. Laut wie das Grölen und der Singsang war das Klopfen der Würfel.
    Doch auch wenn Alaïs derartige Stätten nicht kannte, als schüchtern wollte sie nicht gelten.
    Stolz trat sie neben Marguerite und straffte die Schultern. »Ich bin Azalai’s Montpoix, man nennt mich Alaïs.«
    »Man nennt dich Alaïs, so, so«, meinte grinsend der Mann. »Und soll ich dir was sagen: Einen anderen Namen will ich auch gar nicht wissen. Hier rufen wir uns Joanon und Tomas und Girart. Wie wir ansonsten heißen und welchen Rang wir tagsüber einnehmen, das kümmert niemanden. Das ist nämlich Sinn und Zweck dieses Orts: nicht sein zu müssen, wer man ist.« Er schlug mit der Hand auf den Tisch. »Nun beeil dich doch, Wirtin, damit die beiden hübschen Mädchen nicht dürsten müssen!«
    Alaïs hatte noch nie so guten Wein getrunken, wie in jener hitzigen, lauten Nacht. Sie kannte
Nectar
– Wein mit Gewürzen und Honig – oder jene Mischung aus Honig, Wasser und Wein, die
Tempra,
doch in den Tavernen von Avignon hockten Menschen beisammen, die so viel von dem roten Gesöff verstanden wie kaum anderswo auf der Welt. Mit weniger als dem Besten gaben sie sich nicht zufrieden.
    »Das nennst du gut?«, rief einer, nachdem die Wirtin die Becher gefüllt hatte und sie zum ersten Schluck angesetzt hatten. Süß und kräftig erschien Alaïs das Gesöff, doch der Mann, der sich als Joanon vorgestellt hatte, warf den Becher ungeleert einfach hinter seine Schultern, wo er klirrend aufschlug. Die rote Lache, die sich ausbreitete, störte ihn nicht. »Das Wasser des Flusses könnte nicht fauliger schmecken!«
    »Was willst du denn?«, keifte die Wirtin zurück. »Der kommt aus dem Rhônetal!«
    »Pah! Die guten Weine stammen aus Burgund.«
    »Du meinst die teuren«, rief einer dazwischen.
    »Vielmehr die, die eigentlich nur der
Cellerar
des Papstes kaufen und ausschenken darf, nicht unsereins.«
    Joanon beugte sich zu Alaïs. »Das Schöne ist: Hier müssen wir nicht nur nicht sein, wer wir sind, hier müssen wir auch nicht tun, was wir sollten. Also …«, er warf

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