Die Gefährtin des Medicus
will!«
»Psst!«, machte Marguerite. »Hier müssen wir leise sein.«
Alaïs blickte sich um. Sie erkannte nicht, wo sie waren, nur, dass es totenstill war. Die Häuser standen so dunkel und reglos, als würde hinter den kleinen Luken niemand leben.
»Wir sind in der Judengasse«, erklärte Marguerite.
Alaïs erinnerte sich an den jüdischen Medicus, der sich einst mit Aurel gestritten hatte, und verzog abfällig den Mund.
»Aus Frankreich wurden sie vertrieben«, fuhr Marguerite fort, »aber in der Provence haben sie Unterschlupf gefunden. Zweihundert Familien leben hier unter dem Schutz des Papstes. Allesamt Händler oder Geldwechsler.«
»Sollen sie dankbar sein für die sichere Heimat und sich nicht über zwei hübsche Mädchen aufregen!«, lallte Alaïs, aber dann fügte sie sich und hielt den Mund, denn sie musste sich ohnehin auf ihre Schritte besinnen.
Ihre Füße kribbelten und fühlten sich zugleich so schwer an, als wäre sämtliches Gewicht ihres Körpers dorthin gesackt. Ungemein mühevoll war es, sie zu heben – umso mehr, als sie plötzlich auf ein Hindernis stieß. Etwas Dunkles, Großes lag vor ihnen auf der Gasse.
»Mein Gott!«, rief Marguerite entsetzt.
»Willst du jetzt doch die Juden aufwecken?«, höhnte Alaïs.
Schon hatte sich Marguerite von ihr freigemacht und sich über das Hindernis gebeugt.
»Das ist ein Mensch!«
Alaïs zuckte die Schultern. Wenn er so reglos lag, dann bedeutete es wohl, dass er nicht mehr lebte, aber sie war zu benommen, um das zu bedauern.
»Wahrscheinlich ein stinkender Bettler …«, murrte sie, »der kann doch froh sein, wenn er sein elendes Leben hinter sich hat …«
Sie wollte weitergehen, doch schaffte es nicht, gerade Schritte zu machen. Halb schwankend, halb tänzelnd drehte sie sich im Kreis.
Marguerite indes hatte den Mann auf den Rücken gewälzt.
»Mein Gott!«, rief sie wieder.
Unwillig blickte Alaïs auf sie herab. »Was ist?«
»Das ist kein Bettler, sondern ein Priester.«
Alaïs hätte den Betrunkenen gerne liegen gelassen, doch Marguerite hatte anderes im Sinn. Sie rüttelte ihn fortwährend an den Schultern, versuchte, ihn zu wecken, und als das nicht gelang, erklärte sie: »Wir müssen ihn hier fortschaffen!«
Alaïs lachte auf. »Wie stellst du dir das vor? Er ist viel zu schwer für uns beide! Und außerdem ist er gewiss schon hinüber, so steif wie er daliegt …«
Dies schien nun auch Marguerite zu befürchten, doch just in dem Augenblick, als sie vor ihm zurückweichen wollte, stöhnte der Mann auf. Die Lebensgeister kehrten zunächst nur in der Form eines Zitterns zurück, dann, indem er ruckartig auffuhr und eine übelriechende Masse ausspie. Alaïs trat angewidert zurück.
»Ich bin einsam«, brach es aus dem Mann hervor. »Ich bin so einsam.«
»Komm schnell, lass uns gehen!«, forderte Alaïs. »Jetzt ist er doch wieder wach!«
Auch Marguerite war vor dem Erbrochenen zurückgeschreckt, aber sie blieb weiterhin an seiner Seite stehen. »Ich kenne diesen Priester«, murmelte sie nachdenklich. »Er bekleidet ein hohes Amt. Er steht Gasbert de Laval sehr nahe, ist mit ihm verwandt und …«
Mühsam erinnerte sich Alaïs an den schwarz gekleideten Kämmerer des Papstes. »Kann mir nicht vorstellen, dass diese missgelaunte Krähe sonderlich Gefallen an einem Trunkenbold findet …«
Alaïs hakte sich wieder bei Marguerite ein, wollte sie nun endlich weiterziehen, doch Marguerite versteifte sich. Der Mann war wieder in Ohnmacht gesunken.
»Wenn wir ihn hier liegen lassen, wird er womöglich sterben. Du … du musst Hilfe holen.«
»Soll ich etwa Gasbert de Lavais Nachtruhe stören?«, fragte Alaïs schnippisch. Der unerfreuliche Zusammenstoß mit dem Betrunkenen und die kalte Nachtluft hatten sie wieder etwas nüchterner werden lassen – ein Zustand, der sie mürrisch stimmte.
Marguerite zauderte, beugte sich hinab. Das Erbrochene warim Boden versickert. Sie schien ihn im Nacken stützen zu wollen, auf dass er an den Resten im Mund nicht erstickte – und schrie plötzlich entsetzt auf.
Alaïs lehnte sich an eine der Hauswände. »Was plärrst du denn wie ein Marktweib, das seine billige Ware nicht schnell genug loswerden kann?«
Marguerite antwortete nicht auf ihre Frage.
»Hol Aurel Autard!«, forderte sie knapp.
»Ja, freilich!«, lachte Alaïs. »Weil ein Mägdelein wie ich es nachts viel leichter hat, in den Palast des Papstes vorzudringen, als am Tage!«
»Aurel Autard lebt nicht mehr im Palast des
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