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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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so groß wie anderswo drei Räume zusammen. Alaïs erkannte, dass hier niemand lebte, sondern dieses Haus – wie so viele andere in Avignon – als Lager diente, entweder für den Papst oder für einen seiner Kardinäle, der zu wenig Wohnraum hatte, um all seine Besitztümer unterzubringen.
    An jeder freien Ecke war Geschirr gestapelt: silberne Karaffen, Tassen aus Keramik, Glasbecher und Löffel aus Gold, von allem so viel, dass Alaïs es nicht zählen konnte.
    Ihre Augen blieben an einem Kupfergefäß hängen – ein derart glänzendes hatte sie noch nie gesehen. Das Kupfergeschirr in Giacintos Haushalt war mit einem Zinnüberzug versehen, um das kostbare Material vor der Abnützung zu schützen, mit diesem hier hatte aber wohl noch nie jemand gekocht. Doch just als sie es berühren wollte, überprüfen, wie glatt es sich anfühlte, senkte Emy die Fackel über den betrunkenen Priester und tauchte dadurch große Teile des Raums wieder ins Dunkel.
    »Ich hatte Recht«, sagte Marguerite eben, die den Kopf des Priesters stützte. »Es ist Laurent Bonredon. Ein Vetter von Gasbert de Laval – und zugleich einer seiner Kapläne. Vielleicht …« Sie zögerte ein wenig. »Vielleicht sollte man ihn holen.«
    Alaïs trat näher, versuchte den säuerlichen Geruch des Erbrochenen zu ignorieren. »Mitten in der Nacht?«, stieß sie aus. »Hast du den Verstand verloren? Auch wenn es sein Vetter ist …«
    Sie schüttelte entrüstet den Kopf, doch zu ihrem Erstaunen gewahrte sie, dass Emy ihre Einschätzung nicht teilte, sondern sich augenblicklich erhob und das Lagerhaus verließ.
    »Er will doch nicht allen Ernstes Laval holen?«, fragte Alaïs.
    Niemand antwortete ihr. Nur der betrunkene Priester stieß ein Stöhnen aus. Ein paar Silben folgten. »Ich bin einsam«, glaubte Alaïs zu verstehen, »ich bin so einsam …«
    Wieder schüttelte sie den Kopf, wollte entrüstet bekunden, dass Marguerite ihm alleine den Kopf halten mochte, wenn er sich wieder erbrach, sie selbst aber nach Hause zurückkehren würde. Doch dann stellte sie fest, dass nicht nur Emy ganz anders handelte als erwartet, sondern dass auch Aurel auf den Mann hinstürzte, als gelte es, ihn den Fesseln des Todes zu entreißen. Im flackernden Schein der Fackel, die Emy inzwischen Marguerite in die Hand gedrückt hatte, glänzten seine braunen Augen.
    Das letzte Mal hatte sie ihn so erlebt, als einem von Giacintos Männern der Schädel zertrümmert worden war.
    Sie kam nicht umhin, Laurent Bonredon genauer zu mustern. Wieder sagte er etwas, und diesmal klang seine Stimme nicht nur rau, sondern wie erstickt. Ihr Blick fiel auf das rote Mal, das sicheiner engen Kette gleich um seinen Hals zog, und sie atmete heftig aus vor Schreck.
    »Verstehst du nun, warum’s gut ist, einen kundigen Medicus hier zu haben?«, fragte Marguerite.

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XVII. Kapitel
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    Noch zwei oder drei Mal wiederholte Laurent mit heiserer Stimme seine Klage: »Ich bin einsam … so einsam.«
    »Was meint er damit?«, fragte Alaïs erstaunt, doch Marguerite zuckte die Schultern und antwortete knapp, dass sie es sich nicht erklären könnte.
    Schließlich verstummte Laurent und stöhnte erst wieder auf, als Aurel ihm die sichtlich schmerzende Kehle abtastete. »Wir müssen ihm das Atmen erleichtern«, erklärte Aurel und zog etwas aus seinem Beutel, was Alaïs bis dahin noch nicht gesehen hatte – ein dünnes, hölzernes Rohr, das er dem Priester in die Kehle schob. Sie war sich sicher, jener würde würgen, doch Aurel übte zugleich einen Druck auf den Kehlkopf aus – vielleicht, um genau das zu verhindern. Als er vermeinte, das das Röhrchen tief genug in der Kehle steckte, beugte er sich hinab und blies in regelmäßigen Abständen hinein. Eine Weile wiederholte er das, dann zog er das Rohr heraus und beugte sich über das Gesicht des Mannes. Offenbar atmete jener wieder mit festen Zügen, denn Aurel nickte befriedigt.
    Marguerite senkte die Fackel tief über Laurents Gesicht. Eben noch bläulich fahl, nahm es eine kräftigere Farbe an.
    Als Emy mit Gasbert de Laval zurückkam, sah er nicht aus, als wäre sein Leben jemals bedroht gewesen.
    Alaïs konnte sich kaum mehr an Gasbert de Laval erinnern. Sie wusste, dass er eine magere, dunkle Gestalt in des Papstes Nähe gewesen war, der sich ob Aureis dreisten Auftretens äußerst missbilligend gezeigt hatte. Doch als er nun mitten in der Nachtin das Lager stürmte, wirkte er weder sonderlich würdevoll noch starr, sondern ernsthaft

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