Die Gefährtin des Medicus
dieser Mann hier den Strick genommen hat?«, fragte er.
Alaïs konnte gerade noch verhindern loszuprusten. Sie bemerkte, dass sich auch Marguerite auf die Lippen biss. Emy hingegen lachte nicht. Erst jetzt sah Alaïs ihn nicht weit von Gasbert entfernt stehen. Ihr war nicht aufgefallen, dass er an die Seite des päpstlichen
Camerarius
zurückgekehrt war. Beschwichtigend trat er nun zwischen Gasbert und Aurel.
»Der Mann lebt, das ist das Wichtigste. Vielleicht … vielleicht sollte er hierbleiben, bis er genesen ist.«
Schweigen breitete sich aus. Alaïs konnte sehen, wie Gasbert de Laval mit seinem ärger rang, wie tief sich die Zornesfalten in sein ansonsten unbewegtes Gesicht gruben. Seine Kiefer knirschten, doch dann obsiegte die übliche Starre.
Er nickte schwach – zwar zum Nachgeben bereit, aber nicht dazu, seine Zustimmung in Worte zu kleiden.
Alaïs bebte in der kalten Nachtluft. Wenn sie die stickigen Tavernen verließen und ihre Körper noch hitzig von Tanz und Wein waren, erwies sich die Abkühlung als angenehm. Doch das lange Stehen in der Lagerhalle hatte sämtliche Wärme aus ihrem Leib schwinden lassen, und nun kam ihr der Weg zu Giacintos Haus endlos vor.
Mit klappernden Zähnen fragte sie schließlich: »Warum hasst Gasbert Aurel dermaßen?«
»Woher soll ich das wissen?«, gab Marguerite zurück – sehr unwirsch, sehr schnell auch, als verböte sich jedwede Frage.
Alaïs verlangsamte ihren Schritt, indes Marguerite stur weiterging. »Du kamst auf die Idee, Gasbert de Laval zu holen!«, rief Alaïs ihr nach. »So kannst du mir doch auch sagen, was du über ihn weißt.«
Kurz machte Marguerite den Anschein, als würde sie an ihrem zügigen Schritt festhalten, doch dann blieb sie stehen. »Ich weiß, was alle wissen«, erklärte sie knapp. »Dass er nach dem Papst der mächtigste Mann am Hofe ist. Dass er aus Chercynois stammt, wie der Papst. Und dass er zu dessen
Familia
gehörte, lange bevor jener von den Kardinälen gewählt wurde.«
»Dann hat er Glück gehabt. Er konnte ja nicht wissen, dass sein Herr dereinst mächtigster Mann der Kirche sein würde.«
»Pah!«, Marguerite lachte auf. »Ein Mann wie Gasbert de Laval verlässt sich nicht auf sein Glück. Er war immer schon ehrgeizig und hat in Paris und Orléans studiert. Eine Weile war er Kanzler von König Robert, dann machte ihn der Papst zu seinem Kämmerer und später zum Bischof von Marseille. Dort ist er freilich nie. Er hat seine Vikare, die sich um sein Bistum kümmern.«
Sie nahm ihren schnellen Gang wieder auf.
»Das erklärt immer noch nicht, warum er Aurel derart hasst.«
Marguerite lachte spöttisch und rau. »Seit wann macht der Ehrgeiz die Menschen anderen geneigter? Ich glaube, die Antwort ist eine schlichte. Er meint zu wissen, was der Papst denkt, und glaubt darum, er könnte jeden Schritt voraussehen. Es muss ihn verwirren, dass Aurel regelmäßig mit dem Papst zu Abend isst. Obwohl doch bekannt ist, dass er – so es sich denn um kein Festessen handelt – sein Mahl am liebsten allein einnimmt. Und obendrein lässt er sich von Aurel oft auf seinen Spaziergängen durch den Palast und den Garten begleiten.«
Alaïs wusste nicht, was sie mehr verwirrte: wie sich einer wieAurel den Papst hatte geneigt stimmen können, oder warum Marguerite von all diesen Dingen wusste. Sie fragte sie, und Marguerite erklärte freimütig: »Hast doch gesehen, wie viele Menschen ich kenne. Wie soll mir da etwas in Avignon entgehen?«
Alaïs hatte nie auf die Gespräche geachtet, die Marguerite in den Tavernen führte. Sie wusste, dass deren Gier nach fettem Fleisch genauso groß war wie nach Tratsch und Klatsch – sie selbst jedoch war taub für alles, was nichts mit dem eigenen Leben zu tun hatte.
»Warum hast du mir nie erzählt, dass Aurel und Emy in einem eigenen
Domus
leben?«, fragte sie nun.
»Weil du nie danach gefragt hast«, unterbrach Marguerite sie, »und weil ich darum nicht den Eindruck hatte, es könnte dich interessieren. Du hast nie auch nur seinen Namen erwähnt.«
Alaïs suchte etwas zu entgegnen, doch da waren Marguerites Gedanken längst wieder zu Gasbert geschweift. »Nun ja«, meinte sie, »vielleicht ist’s für den
Camerarius
gut zu lernen, dass nicht alles nach seinem Willen geht. Schließlich ist er noch jung …«
»Jung?« Nach Alaïs Empfinden war er uralt.
Doch Marguerite meinte grinsend: »Erst vierundzwanzig Jahre, stell dir vor!«
Alaïs riss die Augen auf. Das musste auch Aureis Alter
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