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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sein, und doch gab es in ganz Avignon wohl kaum zwei Männer, die sich so wenig glichen wie diese beiden.
    Doch nicht nur das erstaunte sie. »Und warum weißt du auch das so genau?«, fragte sie.
    »Giacinto treibt doch die Abgaben für den Papst ein. Und Gasbert de Laval überwacht wiederum die Finanzen. Er war auch schon zu Gast in Giacintos Haus, obwohl er ansonsten nie gemeinsam mit Laien isst.«
    Alaïs schüttelte verständnislos den Kopf. Was für eine seltsame Welt es war, in die sie da geraten war! Eine Welt, wo ein Priester eher Verständnis fand, wenn sich ein anderer erhängte, als wenn ein Ungeweihter Einfluss erlangte. Eine Welt, aus der man Frauen wie sie notfalls gewaltsam fernhielt und zugleich,wiewohl im Heimlichen, Dunklen, Frauen wie Marguerite so viel Wissen gewährte und bei ihnen der Einsamkeit entfloh. Ob es diese Einsamkeit war, die Laurent Bonredon dazu getrieben hatte, sich selbst morden zu wollen – oder ein viel quälenderes, viel dunkleres Geheimnis?
    Sie dachte nicht weiter darüber nach.
    Was geht’s mich an?, überlegte sie, und sie sah nun, da der Morgen graute, zu, endlich nach Hause zu kommen und sich von dieser langen Nacht auszuruhen.
     
    Die nächsten zwei Tage verbrachte der Priester in der Lagerhalle. Alaïs hätte gerne darauf verzichtet herauszufinden, ob und wie schnell er genas, doch Marguerite schickte sie mit einem Korb voll Essen zu ihm, und so betrat sie die Lagerhalle ein zweites Mal, diesmal am lichten Tage. Ehe sie den Korb vor dem Kranken hinstellte, musterte sie ausgiebig das kostbare Geschirr. Manches davon glänzte so stark, dass sich ihr Gesicht darin spiegelte. Es sah fremd aus, glich nicht mehr dem Antlitz, das sie vor einigen Monaten noch gesehen hatte, wenn sie sich im Meer von Saint – Marthe gespiegelt hatte. Kantiger traten die Knochen hervor, hatten das Kindliche, Rundliche vertrieben und schienen zugleich ihre Augen zu vergrößern. Ihr Haar trug sie nun bei Tag unter einem Tuch gebändigt, nicht aber bei Nacht, wo es ihr den Rücken herrunter – rann wie damals, als sie in Aureis Gegenwart getanzt hatte.
    Schließlich trat sie von den Regalen fort und brachte dem Priester das Essen. Sie wollte nicht mit ihm sprechen, sondern eilig wieder gehen, und er machte es ihr leicht, weil er sie nicht zu bemerken schien, sondern blicklos vor sich hin starrte. Eine Träne bahnte sich ihren Weg, doch weder ward sie von weiteren begleitet, noch wischte er sie ab.
    Schulterzuckend wandte sich Alaïs ab, um dann zu gewahren, dass sie nicht die einzige Besucherin des Genesenden war. Aurel war gekommen, um nach ihm zu sehen. Nachdem er die Halle betreten hatte, waren seine Augen so stur auf den Kranken gerichtet, dass er sie nicht zu bemerken schien.
    Warum sollte er mich auch ausgerechnet jetzt sehen?, dachte sie bitter.
    Doch dann hob er den Kopf und musterte sie flüchtig. »Was machst du hier?«, fragte er, als wüsste er nicht mehr, dass sie und Marguerite es gewesen waren, die den Mann gefunden hatten.
    Wenn man ihn fragte, warum auch ich hier in Avignon lebe – wahrscheinlich wüsste er auch das nicht, ging es ihr durch den Kopf.
    »Und was machst du hier?«, gab sie zurück. Es war das erste Mal seit langem, dass sie mit ihm allein war – der Priester zählte nicht, so still wie er dalag –, doch es erfüllte sie nicht mit Freude oder mit Hass, lediglich mit Missmut.
    Aurel deutete verwirrt auf Laurent. »Ich bin gekommen, um nach …«
    »Das meinte ich nicht!«, fuhr sie ihn scharf an. »Ich meinte: Was machst du hier in Avignon? Ich dachte, du wolltest der größte
Cyrurgicus
deiner Zeit werden, und jetzt hockst du hier bei einem Papst, von dem es heißt, dass er trotz seines hohen Alters ein gesunder, kraftvoller Mann ist! Ja, und dass er Papst ist, interessiert dich nicht im Geringsten! Warum hast du Gasbert de Laval nicht einfach gesagt, worüber er mit dir spricht?«
    Die eigentlichen Fragen stellte sie nicht – vielleicht, weil es zu spät dazu war: Warum konntest du so leicht auf mich verzichten, die ich dir solch eine treue Helfershelferin war? Warum hast du keinen einzigen Gedanken an mich verschwendet, nachdem sich unsere Wege trennten?
    Aurel zuckte die Schultern. Der gleiche überdruss, der sie überkommen hatte, breitete sich auf seinem Gesicht aus. Sie war nicht sicher, ob dieser ihr galt oder nicht vielmehr der Tatsache, überhaupt hier in der Lagerhalle zu sein. Vielleicht hatte Emy ihn geschickt – ebenso wie sie selbst nicht aus

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