Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
freien Stücken hergekommen war, sondern weil Marguerite es gewünscht hatte.
    »Ich habe Gasbert nichts sagen können, weil ich es nicht mehr wusste.«
    »Das kann ich mir lebhaft vorstellen!«, rief sie bitter aus.»Warum solltest du einem Gesunden zuhören, und wäre es auch der Papst? Er müsste sich mindestens ein Bein gebrochen haben, damit es dich interessierte! Nur verstehe ich dann noch weniger, warum du hierbleibst. Warum gehst du … gehen wir nicht endlich fort?«
    Erst als sie es aussprach, begriff sie, dass sie das längst nicht mehr wollte, dass sie vielleicht die einstige Freiheit vermisste, an jedem Tag neu entscheiden zu können, wohin der Weg ging, jedoch nicht das schlechte Essen, die kalten Nächte und die dreckigen Wirtshäuser, vor allem aber: dass sie selbst in den hellwachen Augenblicken, wenn Aureis Anspannung und Konzentration auf sie übergegangen waren, wenn sie alles vergessen hatte bis auf diesen Kampf um Leben und Tod, nicht halb so oft gelacht hatte wie hier in Avignon.
    »Es gibt eine Universität in Avignon«, rief Aurel eifrig. »Und eine medizinische Fakultät. Letztere hat keinen sonderlich guten Ruf. Alle Professoren, die etwas auf sich halten, gehen nach Montpellier. Aber ich denke mir … wenn der Papst mich nur ließe … wenn er mir nur freie Hand gäbe … so könnte ich aus diesem Ort ein zweites Salerno oder ein zweites Bologna machen. Mag jetzt noch nicht die rechte Zeit gekommen sein. Er braucht sehr lange, bis er Entscheidungen trifft, aber wenn der Tropfen stetig auf den Stein fällt …«
    Der Überdruss war aus seinem Gesicht geschwunden, seine Augen weiteten sich, seine Wangen wurden fleckig.
    »Und es ist nicht der einzige Grund!«, fuhr er fort. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel ich hier lernen kann …«
    »Im Papstpalast?«, rief sie. »Dort lässt man dich doch sicher keine Toten aufschneiden!«
    »Das nicht. Aber der Papst besitzt eine riesige Bibliothek.« Seine Wangen begannen förmlich zu glühen. »Undenkbar viele Schriften sind dort versammelt, Manuskripte und Bücher aus aller Welt. übersetzungen des Constantinus Africanus, aber vor allem auch der
Canon Medicine
von Avicenna. Ich habe Letzteren noch nie in Händen gehalten, desgleichen nicht die IsagogeJohannitii des Hunayn ibn Ishäq. Jener war Leibarzt zweier Kalifen und hat genaue Beschreibungen verschiedener Eingriffe festgehalten. Und selbstverständlich sind sämtliche Schriften der großen Salerner vollständig vorhanden. Die
Cyrurgia Rogers
oder das
Antidotarium Nicoli.
Ich habe gehört, dass in der Gefolgschaft von König Robert ein Heide lebt. Er heißt Kalonymos ben Kalonymos, und er ist damit beauftragt worden, die Schriften von arabischen Gelehrten zu übersetzen, auch eines gewissen Averroes. König Robert wiederum ist es, der dem Papst reiche Geschenke macht – darunter viele Bücher. Wer weiß, was ich in den nächsten Jahren noch in Händen halten kann.«
    »Hör auf!«, unterbrach sie ihn. »Hör auf! Oder denkst du tatsächlich, das interessiert mich, oder ich könnte mir auch nur einen Namen merken?«
    Er hielt inne, betrachtete sie verwirrt. Nun, gewiss geschah’s nicht zum ersten Mal, dass er sie anschwieg, weil er ihr nichts zu sagen hatte – doch neu war, dass sein Anblick sie nur müde stimmte, seine Gegenwart nur gelangweilt, seine Besessenheit von der Chirurgie nur angewidert. Nichts hatten sie sich zu sagen, nichts hatten sie gemeinsam.
    Ich brauche ihn nicht, dachte sie plötzlich. Ich brauche ihn nicht, um zu singen, zu tanzen und mit Männern Spaß zu haben, um mit Marguerite lachend durch Avignons nächtliche Straßen zu laufen oder mit Roselina heimlich die ausländischen Gesandten zu beobachten, um hinterher deren Geschenke anzusehen. Ich brauche ihn längst nicht mehr.
    Kurz erschreckte sie die Kälte, die in ihr hochstieg und die all die Gedanken, die sie an ihn verschwendet hatte, alles Hoffen auf seine Aufmerksamkeit, alles Bemühen, ihm zu Diensten zu sein, ihm zu gefallen, so lächerlich und sinnlos machten. Kurz fürchtete sie, löste sie ihr Geschick von dem seinen, ein ödes Leben, in dem fortwährende Trunkenheit die Frage nur vertrieb, nicht löste, was sie denn – ob mit ihm, durch ihn oder ohne ihn – überhaupt wollte.
    Unvermittelt trat sie auf ihn zu, betrachtete den schmächtigenKörper, beschwor herauf, wie sie ihn einst an sich gezogen, ihn zu Fall gebracht hatte, wie sie ihn hatte küssen wollen und nicht küssen können – weil

Weitere Kostenlose Bücher