Die Gefährtin des Medicus
Unbehagen sie davon abhielt und die gleiche Fremdheit, die auch jetzt diesen tiefen Graben zwischen sie schlug.
»Was tust du?«, fragte er.
Da erst ging ihr auf, dass sie ihre Hand auf seine Schultern gelegt hatte, nicht liebevoll, nicht zärtlich, eher prüfend – so wie er als
Cyrurgicus
Wunden prüfte. Schwelte rein gar nichts mehr von jenem Verlangen in ihr, dass sie – irgendwie – zu ihm gehörte und er – irgendwie – zu ihr? Blieb von der prickelnden Erregung, die er in ihr heraufzubeschwören vermocht hatte – weil er so anders war, so verrückt und so beseelt von seinen Zielen – nicht wenigstens ein Funke?
Sie hoffte darauf, dass ihr einstiges Trachten Recht bekäme – und wünschte doch zugleich etwas ganz anderes: dass sie dieses Trachten für immer abschütteln konnte und alleinige Herrin ihres Lebens würde, wie nichtssagend oder reich es auch sein mochte.
Nun hob sie auch die zweite Hand, strich über sein Gesicht, hielt ihn, als er zurücktreten wollte, fest, um aus seinem Widerstand ein wenig Lebendigkeit zu pressen, aus seinem verlegenen Zurückweichen ein wenig Triumph. Immerhin erreichte sie, dass sein Blick, nach dem sie stets so verlangt hatte, nun auf sie gerichtet war: scheu und verwundert, abgestoßen und irgendwie verletzlich. Doch das Einzige, was er erzeugte, war ein Schauder, der ihr über den Rücken lief.
»Es geht mir gut«, stieß sie hervor. Sie ließ ihn nun endlich los und trat von ihm weg, weiter, immer weiter. »Es geht mir so gut … hier in Avignon … an Marguerites Seite. Was bin ich froh, nicht ständig kranke, verletzte und sonst wie blutende und eiternde Menschen sehen, ihre Ausdünstungen nicht riechen, ihr Gejammer nicht hören zu müssen. Ich … ich brauche dich nicht, Aurel. Wahrscheinlich habe ich dich nie gebraucht. Ich bin glücklich, erst jetzt, erst ohne dich.«
Und dann begann sie zu lachen, laut und schrill und befreit,und sie drehte sich lachend um, ohne seine Antwort abzuwarten. Gewiss wäre er sie ihr ohnehin schuldig geblieben.
Am nächsten Tag kehrte sie noch einmal in das Lagerhaus zurück. Erneut war es Marguerites Wunsch, dass sie Laurent etwas zu essen brachte. Es lag ihr auf den Lippen zu fragen, warum sie es nicht selbst tat, doch sie scheute sich, in Marguerite zu dringen, vielleicht, weil sie in den letzten Tagen so gedankenverloren war.
Ein letztes Mal noch, dachte sie. Morgen gehe ich gewiss nicht wieder hin.
Sie hatte geplant, sich erneut in den funkelnden Gefäßen zu spiegeln und sich an dem Anblick zu freuen, doch als sie das Lagerhaus betrat, fand sie Laurent nicht alleine vor. Zwei Männer standen dort bei ihm, einer beugte sich über ihn und befühlte seinen Hals – und es war nicht Aurel. Laurent machte ein unwilliges Gesicht, schien mehrmals die Hände wegschlagen zu wollen, aber verkniff es sich. Seine scheuen, unsicheren Blicke galten dem dunklen Mann, der steif vor ihnen stand und schließlich dem anderen bekundete, es sei nun genug.
Rasch hatte sich Alaïs hinter einer der großen Kisten verborgen, lugte aber hervor und suchte die Gesichter zu erkennen. Gasbert de Laval war ihr vertraut, nicht jedoch der zweite Mann. Doch daran, wie Gasbert ihn ansprach, erkannte sie ihn als Gaufridus Isnardi, einen der Leibärzte des Papstes. Bis jetzt hatte sie nicht gewusst, ob sein Groll wider Aurel ebenso groß war wie der des Kämmerers oder des
Apothecarius
– nun erfuhr sie, dass er nicht minder darüber verärgert war, einen Rivalen bekommen zu haben.
»Warum habt Ihr nicht mich geholt, sondern diesen Autard?«, fragte er gerade.
Laurent hatte sich erhoben. Es war das erste Mal, dass Alaïs ihn stehen sah. Er war kleiner und dünner, als sie vermutet hatte, vielleicht aber auch nur, weil er mit gesenktem Kopf dastand und die Worte des anderen über sich ergehen ließ, als beträfen sie ihn nicht.
»Hab’s Euch doch schon gesagt«, erwiderte Gasbert. »Die Weiber haben diese Wahl getroffen … mich hat man erst später informiert.«
»Ich verstehe nicht, was der Heilige Vater an diesem ungezogenen Autard findet. Er grüßt mich nicht einmal, als wäre ich einer der Lakaien und darum unsichtbar! Und ebenso wenig verstehe ich«, nun glitt sein Blick erstmals zu Laurent und er sprach ihn direkt an, »warum Ihr Euch zu dieser Sünde habt hinreißen lassen.«
Laurent atmete schwer. Ein Ton kam über seine Lippen – entweder eine nuschelnde Erklärung oder ein viel zu leise geratener Klagelaut.
Alaïs verstand
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