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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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helfen konnte, nicht in diesem Augenblick, da er sein eigenes Leben retten musste. Vor allem aber: dass Roselina sterben würde, wenn Aurel sie nicht zu retten versuchte.
    Emy war näher getreten. »Alaïs, du siehst aus, als …«
    »Wein!«, fiel sie ihm ins Wort und schluchzte trocken auf. »Es ist nur Wein.«
    Auch Aurel hatte sie nun bemerkt, blickte verständnislos zwischen ihr und seinem Bruder hin und her.
    »Was ist nur …?«, setzte Emy an. In diesem Augenblick verstummte er, schien etwas hinter ihrem Rücken zu erblicken. Noch stand sie in der geöffneten Tür, doch da packte er sie schon, zog sie hinein, schlug sie zu. Hastig schob er den Riegel vor und steckte den großen Schlüssel in ein schmiedeeisernes Schloss, wie es nur wenige Häuser in Avignon besaßen.
    Ehe Alaïs begriff, was er bezweckte, hörte sie ein Klopfen, das zunehmend bedrohlicher wurde, das Holz beinahe zum Bersten brachte.
    »Aufmachen!«, bellte eine fremde Stimme. »Aurel Autard! Aufmachen!«
     
    Sie sahen sich entsetzt an. In Aureis Gesicht machte sich nicht länger nur Verständnislosigkeit breit, sondern auch Zorn. Als Erster löste er sich aus der Erstarrung, trat auf die Türe zu. Ehe er sie öffnen konnte, wurde er von Emy zurückgerissen.
    »Bist du verrückt?«, rief er. Es gelang ihm nicht, die Stimme leise zu halten. »Sie sind gekommen, um dich zu holen … und gerätst du erst mal in ihre Hände …«
    »Aber ich muss die Sache aufklären, ich muss …«
    »Fliehen musst du! Das ist alles!«
    Emy zog den unwilligen Bruder mit sich und deutete Alaïs mit einer ruckartigen Bewegung seines Kinns an, dass sie ihnen folgen solle. Da wurde noch heftiger an die Tür getrommelt. »Aurel Autard! Aufmachen!«
    Emy führte sie in eine Kammer, die Alaïs noch nie betreten hatte. Offenbar wurden hier Vorräte gesammelt, der scharfe Geruch getrockneter Würste stieg ihr in die Nase. Ihr Magen verkrampfte sich.
    »Los!«, Emy deutete auf das Fenster, das nicht eckig war, sondern rund und gerade mal so groß, dass sich ein erwachsener Mann hindurchzwängen konnte.
    »Meine Bücher …«, stammelte Aurel. »Meine Instrumente …«
    »Geh!«, rief Emy. Nichts Fürsorgliches stand in seinem Gesicht, nur nackte Angst. Dennoch lief er rasch in den Hauptraum zurück und kam mit Aureis altem Lederbeutel wieder. Aurel war inzwischen zwar widerstrebend, aber doch gehorsam als Erster durchs Fenster geklettert. Eben mühte sich Alaïs damit ab. Leicht war es, sich hochzuwuchten und den Kopf hinauszustrecken, doch viel schwerer, sich so zu drehen, dass sie mit den Füßen voraus unten ankam. Sie verhedderte sich in ihrem Kleid, dann an den stacheligen Zweigen eines Gewächses, das draußen die Hausmauer hochkletterte. Sie hörte, wie ihre Tunika aufriss, und gleich darauf spürte sie einen brennenden Schmerz anihrem Knie. Ein Zweig hatte ihre Haut aufgeritzt. Vor lauter Schrecken ließ sie einfach los, fiel tiefer als erwartet und wurde mit neuem, diesmal noch durchdringenderem Schmerz bestraft. Das eben nur blutende Knie hatte sich beim Aufprall unnatürlich verrenkt.
    Sich windend wälzte sie sich am Boden, um freilich, sobald der Schmerz ein wenig verklungen war, aufzuspringen. Sie humpelte, konnte mit dem schmerzenden Bein kaum auftreten und eilte sich doch, sich unter die Menschen zu mischen – nunmehr geistesgegenwärtig genug, um nicht mehr auf Emys Befehl zu warten. Dieser war als Letzter gefolgt, packte nun wieder den wartenden Aurel und zog auch ihn in die Menschenmasse.
    Avignons enge Gassen hatten sie nie gestört wie andere – doch an keinem Tag war sie so dankbar dafür gewesen wie an diesem. Die Männer, die Aureis
Domus
gestürmt hatten, würden die Flüchtenden in diesem verwinkelten Labyrinth kaum finden.
    »Geht allein!«, schrie sie den Brüdern zu, um unsicher hinzuzusetzen: »Später … «
    Emy hatte keine Zeit, ihr zu widersprechen. Er duckte sich, zog den Bruder hinter sich her, und schon nach kurzer Zeit war nichts mehr von ihnen zu sehen.
    Alaïs nahm die andere Richtung und lief zurück zu Giacintos Heim, fast erleichtert, dass der Schmerz noch immer so grässlich pochte und sie nicht darüber nachdenken konnte, was sie Marguerite sagen sollte.

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XXII. Kapitel
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    Die Sonne stach nicht mehr, als sie zurückkehrte zu Giacintos Haus; der Himmel stand fleckig. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war – sie hatte die eine oder andere Gasse als Umweg genutzt. Wenn Roselina bereits tot wäre, so machte es

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