Die Gefährtin des Medicus
gehen.
In gleicher Weise wie sein Blick mal das tote Kind, mal Marguerite streifte, wanderte auch der von Alaïs hin und her. Jahrelang hatte sie gerätselt, doch nun begriff sie es: Gasbert de Laval war Roselinas Vater.
Schließlich ging er, so lautlos, wie er gekommen war. Kein Wort der Trauer, kein Wort des Trostes, kein Wort des Mitleidswar ihm über die Lippen gekommen. Und doch war er Giacinto gefolgt, als jener ihn vom Unglück hatte wissen lassen.
Marguerite, die bis dahin nicht hatte erkennen lassen, ob sie die Anwesenheit des päpstlichen Kämmerers überhaupt bemerkt hatte, hob den Kopf.
»Ich stamme aus Quercy«, sagte sie kühl in Alaïs’ Richtung, ehe diese etwas hatte fragen können. »Ich stamme aus Quercy, der Heimat von Laval. Meine Eltern waren Bauern, sie konnten mich nicht ernähren. Verkauft haben sie mich für einen Sack Hafer, gleichgültig, ob ich zugrunde gehen würde. Aber ich ging nicht zugrunde. Ich war hungrig, verstehst du? So hungrig. Und hungrige Menschen sind wach. Sie strengen sich an, sie schuften hart. Ich war Magd im Palast seiner Familie.«
Alaïs begriff, glaubte zu begreifen.
Ein junger Mann aus bester Familie.
»Das ist doch nicht möglich!«, begehrte sie dennoch auf, als ließe sich, wenn sie diese Tatsache nur entschlossen abstritt, auch alles andere von seiner Endgültigkeit befreien. »Nichts war ihm wichtiger als die Würde seines Amtes! Er gehört nicht zu jenen, die trinken und feiern und sich mit Huren wälzen, um …«
»Ich war arm wie die anderen, dreckig wie die anderen, aber meine Hüften waren runder und mein Haar war blonder«, fiel Marguerite ihr ins Wort. »Frag mich nicht woran es liegt. Aber blondes Haar ist wie die Sonne: Die lässt selbst das schäbigste Land freundlich wirken, das bei schlechtem Wetter nur anwidern würde. Mein Haar war also blond, und mein Leib war noch frisch – und der seine noch nicht bezwungen vom festen Willen. Einmal muss man sündigen, um zu wissen, dass man es nie wieder tun will.«
Gedankenverloren hielt Marguerite inne. Erstaunlich deuchte es Alaïs, dass sie in ihrem Schmerz so ruhig sprechen konnte – erstaunlich und auch wieder nicht. Marguerite hatte so oft bewiesen, dass sie viele Gesichter besaß, sodass das eine weiterreden konnte, indessen das andere den Verstand verlor.
»Er hat mich seit damals nicht wieder angerührt. Ich habe dirdoch erzählt, dass er in Wahrheit noch jung ist, so jung. Doch damals ist er von einem Tag auf den anderen gealtert, um zehn Jahre, um zwanzig, ich weiß es nicht. Er wurde geweiht, und seitdem glaube ich, dass das Wirken des Heiligen Geistes nicht lebendig macht, sondern einfach nur alt. Uralt.«
Alaïs schüttelte den Kopf. »Das mag ja alles sein und doch: Laval hat Aurel gehasst, weil jener kein Priester war. Er sah von ihm sein Amt beschmutzt, obwohl er selbst herumgehurt …«
Sie biss sich auf die Lippen. Gasbert de Laval gegenüber wollte sie Verachtung zeigen, nicht Marguerite schlecht machen. Doch an jener prallten ihre Worte ab.
»Es ist eine Gemeinschaft, eine klar umgrenzte Gemeinschaft. Es gibt ein Drinnen und ein Draußen. Entweder gehört man dazu – oder eben nicht. Aurel hat nicht dazugehört. Hätt' er’s getan, hätte ihm Gasbert de Laval die eine oder andere Schwäche nachgesehen. Es ist leichter, einem Bruder zu verzeihen als einem Fremden.«
Alaïs schwieg, nichts fiel ihr zu sagen ein, umso mehr, da Marguerite nun wieder aufstand und zur toten Roselina trat.
»Er wusste nichts von dem Kind … bis zu dem Tage, als Laurent … als Laurent …« Sie brach ab. »Laurent Bonredon hat schon einmal versucht, sich das Leben zu nehmen.«
Alaïs schüttelte verwirrt den Kopf. Sollte all das nun noch mit dem Priester in Verbindung stehen, der sich einst den Strick hatte nehmen wollen und nun als Franziskaner verkleidet an der Intrige gegen Aurel mitgewirkt hatte?
Marguerite freilich hörte nicht zu reden auf. »Als damals diese Sache mit den Ketzern war … du weißt schon, jene drei, die sie verbrannt haben … da brachte Laval Laurent nach Quercy, damit er sich dort verstecken konnte. Laurent wollte sich aber nicht verstecken, er wollte sich lieber töten. Auch damals habe ich ihn gefunden, so wie später in Avignons Straßen. Auch damals habe ich ihn gerettet. Und als mir Laval dankte, so, wie man einer Fremden dankt, da tat ich, was ich sonst nie gewagt hätte: Ich kniete mich vor ihm auf den Boden und sagte: >Ich will, dassmein Kind sauber bleibt,
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