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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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wie ein wirrer Traum anfühlte. Sieblickte an sich hinab, um nachzusehen, ob sie ihre Kleidung geordnet hatte. Keine trügerischen Spuren gab es zu erspähen.
    Trotzdem fühlte sie sich schäbig wie eine Lügnerin, als sie eine gleichmütige Stimme aufsetzte und vermeintlich ungeduldig ausrief: »Ich sterbe, so hungrig bin ich!«
    Emy reichte ihr zu essen, nahm sich selbst, und gemeinsam verzehrten sie das Mahl. Er hatte das Feuer wieder entfacht und legte alle paar Bissen frisches Holz nach. Es war feucht und brannte nicht richtig, schien eher, nach Meer und Algen stinkend, im schweren Rauch zu verglimmen. Alaïs hustete ob der kratzenden Luft. Schon die ersten Bissen waren ihr im Hals stecken geblieben, aber sie zwang sich weiterzuessen. Wie konnte sie damit auch aufhören, wenn sie Emy eben beteuert hatte, hungrig zu sein?
    Doch so sehr sie darum kämpfte, ihn ihre vermeintliche Gier glauben zu machen – alsbald fühlte sie sich ertappt. Sie gewahrte seinen Blick auf ihr ruhen, nachdenklich, verwirrt.
    »Geht es … geht es dir gut?«, fragte er.
    »Mir ist so kalt«, stammelte sie – die zweite Lüge, denn während sie bislang gefröstelt hatte, stieg ihr nun die Scham heiß ins Gesicht. Hastig leckte sie sich über ihre Lippen. Sie schmeckten nach Aurel, das glaubte sie zumindest. Sie wusste nicht genau, wie Aurel schmeckte, sie hatte ihn früher nie geschmeckt. Plötzlich war ihr, als würde sie seine eckigen Knochen noch spüren, an sämtlichen Stellen ihres Körpers, der sie nicht mehr wie der eigene deuchte, obwohl der Schmerz, der in ihrer Scham pochte, sich feucht und klebrig anfühlte, und der in ihrem Rücken, wo sie auf den harten Steinen gelegen hatte, so echt und durchdringend.
    »Geht es dir gut?«, fragte Emy wieder.
    Sie ließ das Stück Brot sinken. »Warum«, fragte sie, »warum kümmerst immer du dich um das Essen?«
    Obwohl sie ihn nicht anblickte, war sie sicher, dass er verwirrt die Stirn in Falten legte. »Wie kommst du darauf?«
    »Ich weiß es nicht … Es ist nur so: Ganz gleich, wo wir sind,wie groß die Not, wie ausweglos die Lage … Du bist es, der Feuer macht. Und du bist es, der Essen holt. Warum tust du das?«
    Er schwieg eine Weile, hüstelte schließlich des Rauches wegen. »Es war schon immer so«, meinte er, »als damals unsere Mutter starb, habe ich ihre Pflichten übernommen. Ich konnte nicht viel tun. Konnte Aurel nicht vor unserem Vater beschützen. Aber Essen kochen, das konnte ich schon.« Er machte eine kurze Pause, »’s ist wohl meine Bestimmung, auf meinen Bruder aufzupassen.«
    »Aber dein Bruder steht dort draußen und glotzt aufs Meer. Du sitzt hier bei mir.«
    »Komm her«, sagte er da plötzlich, erhob sich, rückte an sie heran. Sie sah ihn kaum, weil der Rauch so dicht stand, aber sie spürte seinen Körper, nicht ganz so sehnig, nicht ganz so eckig wie der von Aurel. Ihr Kopf sank in seinen Schoß.
    An ihn gekauert schlief sie ein.
     
    Seit jenem Tag in der Grotte konnte Alaïs nicht mehr mit gutem Appetit essen. Nach jedem Bissen schien sich ihr Magen zu verkrampfen. Nach einigen Wochen wurde es noch schlimmer. Sie übergab sich nach jeder Mahlzeit.
    Lange waren sie in der Grotte geblieben, waren schließlich weiter die Küste gen Süden gezogen. Unter ihren Füßen knirschten die Zapfen und Nadeln der Bäume. An den flachen Stränden versanken sie im Sand, was das Gehen zwar weniger schmerzhaft, jedoch viel anstrengender machte. Irgendwann wurde sie blind für den Weg, den sie nahmen. Sie kämpfte nur mehr damit, sich auf den zunehmend wackligen Beinen aufrecht zu halten.
    Eines Morgens übergab sie sich, ohne dass sie zuvor etwas gegessen hatte. Danach wälzte sie sich zur Seite und blieb im Sand liegen. Sie hielt die Augen geschlossen, und dennoch drehte sich die ganze Welt. Unmöglich, dass sie aufstehen konnte. Unmöglich, auch nur einen Schritt zu machen. Unbegreiflich war ihr, weshalb sie sich jemals nach Fremde und Aufbruch gesehnt hatte. Beides verhieß nun nichts Weiteres als Anstrengung.
    »Ich kann nicht mehr«, murmelte sie, »ich kann nicht mehr weitergehen.«
    Emy kniete sich neben sie und stützte ihren Kopf. »Du bist doch sonst immer gesund und kräftig gewesen!«
    »Ich bin nicht mehr die Alte. Es hat sich etwas verändert.«
    »Was ist mit dir geschehen, Alaïs? Sag es mir!«
    Sie biss sich auf die Lippen. »Roselina … Ich bin schuld an Roselinas Tod. Und daran, dass Marguerite den Verstand verloren hat.«
    Ihre Worte schienen ihn

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