Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
prüfend aufeinander, betastete dann die Schwellung in seinem Gesicht.
    »Warum … warum hat er dich geschlagen?«, zischte Alaïs plötzlich. Aus dem Unbehagen der letzten Stunden wurde Ärger. Über Emy. Über Aurel. Über sich selbst.
    »Was wir getan haben, nun, das haben wir getan«, fuhr sie fort. »Es geht ihn gar nichts an.«
    Aurel tastete weiterhin sein Kinn ab.
    »Emy … Emy wird dich nach Saint – Marthe zurückbringen«, sagte er unvermittelt.
    Trotz Schwindel und Übelkeit sprang sie auf, scharrte mit den Füßen im Sand und in den Algen. Sie fühlten sich klebrig an. »Wovon redest du? Ich kann doch nicht nach Saint – Marthe zurück! Ich kann doch …«
    »Der Bettelmönch hat das Dorf schon seit langem verlassen!«,fiel er ihr ins Wort, dann ließ er seine Hand erstmals von seinem Kiefer sinken, durchpflügte stattdessen unruhig sein Haar.
    »Du weißt doch noch«, setzte er leise hinzu. »Du weißt doch noch, wie es damals war … als wir von Dorf zu Dorf gezogen sind, von Stadt zu Stadt … bevor wir nach Avignon kamen.«
    Sie presste die Lippen zusammen.
    »So … so kannst du nicht leben«, wieder rieb sein Kiefer aufeinander, diesmal nicht, um seine Funktion zu prüfen, sondern, weil es ihm unangenehm schien, weiterzusprechen. »Nicht mit einem Kind!«, brach es schließlich aus ihm heraus.
    Unwillkürlich legte Alaïs ihre Hände auf den Bauch. Er deuchte sie flach, kein bisschen gewölbt. Unmöglich, dass darin Aureis Samen heranwuchs, sich in ihrem Leib ausbreitete, ihn ganz und gar vereinnahmte. Ihr die Freiheit raubte.
    »Du hast vor deinen Studenten in Avignon über das Geschlecht des Mannes und die Zeugung eines Kindes gesprochen, ohne zu erröten. Und nun bringst du es kaum fertig auszusprechen, dass ich schwanger gehe?«
    Ihr Tonfall geriet keifend. Manchmal hatte sie ihre Mutter mit ihrem Vater so sprechen gehört, nur dass es bei der Mutter nach einem Spiel geklungen hatte, das Ray prompt mit einem spitzbübischen Lächeln zu erwidern wusste, nicht nach Bitterkeit.
    »Du wirst nach Saint – Marthe zurückkehren«, stammelte Aurel. »Emy … Emy wird dich begleiten. Er wird dich heiraten. Damit deine Ehre wiederhergestellt ist.«
    Er sagte es, als habe er es mühsam auswendig gelernt.
    »Du hast dich nie um deine eigene Ehre geschert, warum jetzt um die meine?«
    Sein Blick flackerte. »Ich bin Medicus. Ich bin
Cyrurgicus.
Männer wie ich haben keine Familie. Das weißt du, das hast du immer gewusst. Ich werde nach Bologna ziehen. Dort … dort lehren die besten Mediziner. Glaube mir, Alaïs …«
    Der Klang ihres Namens war so fremd. Vielleicht lag es daran, dass er ihn so selten genannt hatte, dass er sich so selten direkt an sie gewandt hatte. Vielleicht aber auch daran, dass sie ihren Namen nicht wollte, genauso wenig wie ihren Körper. Er gehörte ihr ja auch nur mehr vom Kopf bis zum Hals. Alles darunter war im Besitz des Kindes, auch die Beine, die einstmals auf Tischen getanzt hatten und die sie nun in die Heimat zurückführen würden.
    »Alaïs, ich habe darüber nachgedacht. Und ich sehe keinen anderen Weg … es tut mir leid.«
    Er drehte sich um, ging zurück, nicht auf dem trockenen Sand, sondern im dunklen Wasser, auf dem die bleiche Mondsichel zerrann. Die Spuren, die seine Füße diesmal hinterließen, wurden augenblicklich weggespült.
     
    Sie blieb hocken, weigerte sich, zum wärmenden Feuer zurückzukehren, auch dann noch, als das letzte Licht vor der Nacht floh und sie erbärmlich fror. Es machte ihr nichts aus, den Körper so leiden zu lassen, im Gegenteil. Wie sonst hatte sie noch Macht über ihn, wie sonst konnte sie sich der Entscheidung, die Aurel über ihren Kopf hinweg getroffen hatte, widersetzen?
    Dann plötzlich löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit, zunächst nur eine weitere von vielen, nicht lebensfähigen Gestalten ihrer Vergangenheit, die sie im Zustand zwischen Frieren und Einnicken heimsuchten, sie verspotteten oder bemitleideten, weil ihr altes Leben verloren war. Doch jener Schatten hielt sich länger als der Rest, gewann an Konturen, legte schließlich eine Decke um ihre Schultern.
    »Du frierst, Alaïs«, sagte Emy. Er sprach ihren Namen aus, so wie Aurel es getan hatte, doch bei ihm war es keine Besonderheit, er hatte es oft getan. Von ihm hatte sie es nie ersehnt.
    Sie schüttelte die Decke ab. Ihr Körper gehörte doch schon dem ungewollten Kind – wie konnte er sich anmaßen, sich ihm gegenüber fürsorglich zu

Weitere Kostenlose Bücher