Die Gefährtin des Medicus
besten geschieht! Aber hast du dich selbst schon mal berührt, hat irgendjemand dir Lust verschafft?«
Jetzt endlich ließ sie seine Hand los – aber frei gab sie ihn nicht. Als die kühle Luft ihre nackte Haut traf, schmiegte sie sich an ihn, presste ihre spitzen Brüste auf seine hervorstehenden Rippen.
»Alaïs …«, er klang heiser. »Alaïs …«
»Verbiete es dir doch nicht! Dein Leben ist ruiniert … und meines auch. So halte mich wenigstens fest!«
Ihre Stimme geriet krächzend. Unfähig war sie, ein weiteres Wort zu sagen. Ihrem Körper allein blieb es vorbehalten, zu reden, Aurel einzufordern – und die Gewissheit, dass es sich lohnte, auf sein Leben gesetzt zu haben und nicht auf das von Roselina.
Bilder stiegen vor ihr auf. So fremd waren sie ihr, als würden sie aus einem anderen Leben stammen oder aus einem Traum, der niemals Wirklichkeit gewesen war. Das Bild von Aurel, den sie mit Meerwasser bespritzte. Das Bild von Aurel, mit dem sie rangelte, nachdem er dem Henker einen Leichenarm abgekauft hatte. Auf den sie einschlug, damit er sie endlich sehen würde.
Sie krallte sich an ihn, riss ihn zu Boden. Er stöhnte auf, als der harte Stein sich in seinen Rücken bohrte, wälzte sich in eine bessere Lage, was bedeutete, dass nun sie unter ihm zu liegen kam. Auch sie bekam den rissigen Boden unangenehm zu spüren, doch dieses Weh war umso vieles leichter zu ertragen, als das, was in ihrem Inneren wütete und das sie zu vergessen suchte, indem sie Aurel am Nacken umschloss und seinen Mund auf den ihren herabzerrte. Diesmal hielt sie ihn nicht auf Distanz wie einst, als die Macht über ihn sie berauschte. Diesmal küsste sie ihn gierig, denn selbst wenn er immer noch Starre, Steife und Tod verhieß – noch lebloser als sie sich fühlte, konnte er gar nicht sein.
Er schmeckte weich, rau und salzig. Sie küsste seine Lippen nicht nur, sondern saugte sie eher in sich hinein, hoffte, er könnte sie ausfüllen und alles vertreiben, was sonst in ihr hockte. Wieder überkamen sie Erinnerungen, und wieder fühlte sich das frühere Leben nicht wie das eigene an. Hatte es ihr in den letzten Jahren wirklich gereicht, zu saufen und zu tanzen und zu lachen? Hatte sie wirklich geglaubt, sie würde Aurel nicht brauchen?
Nun, eigentlich brauchte sie Aurel auch jetzt nicht, nicht den stolzen, eitlen, gelehrten Medicus – nur seinen Leib und seinen Mund. Nicht einmal weich und süß musste beides sein, nicht einmal zärtlich und entgegenkommend. Es reichte, dass sein Widerstand schließlich erlahmte, dass er wie starr auf ihr liegen blieb.
Sie gab seinen Mund wieder frei, aber tastete nun nach seiner Hand. Wie zuvor begann sie sie über ihren Körper zu lenken, über ihre Brüste hin zu ihrer Leibesmitte. Er packte nicht zu, aber er verweigerte ihr seine Finger nicht. Ihr Blick traf seine braunen Augen. Leer waren sie zunächst, dann kehrte einen kurzen Augenblick lang etwas in sie zurück, das sie kannte – der Anflug von Neugierde, die bislang nur den Kranken und den Toten gegolten hatte. Nun stahl sie sich etwas davon, vielleicht, weil sie – obwohl ihr Puls lebendig raste, ihre Haut zu brennen schien – noch nie zuvor jenen Kranken und Toten so sehr geglichen hatte. Dann schloss er die Augen, war nicht mehr Aurel, sondern irgendein Fremder, kantig, ungelenk, etwas hilflos, aber Mann genug, um sie vergessen zu machen. Nie rang sie so viel Nähe von ihm ab wie in dieser Stunde – und nie hatte sie weniger von ihm gewollt.
Irgendwann hatte sie das meiste ihrer Kleidung abgestreift. Sie fühlte seine behaarten Beine, spreizte ihre. Ob des Drucks seines Leibes waren ihr die Füße taub geworden. Umso spitzer war der Schmerz, als er in sie eindrang. Etwas Warmes floss über ihre Schenkel. Wahrscheinlich war es ihr Blut. Sie gedachte seiner Worte, dass Blut eine Wunde zu heilen vermochte – und vielleicht, das hoffte sie, ehe sie die Augen schloss, vielleicht mochte das ihre die Wunden ihrer Seele heilen.
Als Emy zurückkehrte, ging Aurel nach draußen, ohne den Bruder auch nur eines Blickes zu würdigen.
Aläis hörte, wie Emy ihm etwas zu essen anbot – er hatte Datteln und Feigen, ein paar Streifen getrocknetes Hammelfleisch und zwei Fladen aus dunklem Roggenbrot gekauft –, doch es ertönte keine Antwort, nur hektische Schritte. Bald darauf trat Emy zu ihr, beugte sich zu ihr herab. Sie wusste nicht, ob er sie musterte, etwas von dem erahnte, was geschehen war und was sich nun, da es vorüber war,
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