Die Gefährtin des Medicus
war um keine Erklärung verlegen, »offenbar treibt ihn die Lust, durch die Lande zu ziehen und täglich Neues zu erleben.«
»Was du natürlich nur allzu gut verstehen kannst,« Es klang giftig wie jede Anspielung auf die Zeit, da Ray das unstete Leben eines Gauklers geführt hatte. »In jedem Fall: Ich schlag drei Kreuze, wenn er morgen mitsamt seinem stillen Bruder wieder aufgebrochen ist.«
»Du machst so gut wie nie Kreuzzeichen, warum ausgerechnet jetzt? Im übrigen verstehe ich, warum unsere Tochter gar so begeistert von ihm spricht. Ein außergewöhnlicher Mann ist das. Zumindest wenn du ihn mit Josse vergleichst, diesem tumben Tor …«
»Josse ist fleißig«, warf Caterina ein.
»Josses Kopf ist so leer wie das Euter von Ursannes Kuh. Du kannst es melken, solange du willst – keinen Tropfen Milch wirst du herauspressen.«
Alaïs schlich zurück zum Bett, ließ sich auf die mit Stroh gefüllte Matratze fallen und legte ihren Kopf aufs Leinenkissen. Sie fror, weil sie mit nackten Füßen vor der Tür gestanden hatte. Sie erzitterte noch mehr, als die Worte des Vaters einem Echo gleich in ihrem Kopf nachhallten.
Ein ganz außergewöhnlicher Mann
…
Warum nur hatte Aurel Autard sie, die sie doch die Schönste und Lebhafteste im ganzen Dorf war, beim Tanz nicht gesehen?
----
IV. Kapitel
----
Als Alaïs am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich, als hätte sie zu viel Wein getrunken. Dabei hatte Caterina am Tag zuvor dafür gesorgt, dass Remi keinen Tropfen an sie ausschenkte. Und doch war ihre Zunge pelzig, und der Druck in ihrem Kopf verstärkte sich, als sie sich erhob, den Fensterbalken aufstieß und nach draußen blickte, wo sie ein fader Himmel erwartete. Saint – Marthe schien aus nichts anderem als aus grauen Farben zu bestehen, und dies vor Augen geriet auch alles, was am gestrigen Tag nach Veränderung geschmeckt hatte, schal. Das Haar fiel ihr strähnig ins Gesicht. Der Rücken schmerzte vom langen Stehen an Louises Wochenbett, und wenn sie an die Geburt dachte, so hatte sie sogleich den widerwärtigen Geruch vom Blut in der Nase, das überreich aus Louises Leib geflossen war.
Um den Gedanken zu vertreiben, wollte sie sich schnell an frischem Wasser laben, doch ehe sie sich vom Fenster abwandte, um hinunterzueilen, nahm sie im Augenwinkel eine Bewegung vom Schuppen her wahr.
Sowohl Aurel als auch sein Bruder Emeric standen dort, gekleidet wie am Vortag, lediglich die Haare etwas zerraufter. Nicht aus dem Schuppen waren sie eben getreten, sondern darum herumgegangen – ein Weg, den sie während einer hitzigen Diskussion offenbar schon mehrmals beschritten hatten. Genau betrachtet war es freilich nur Aurel, der diese heftig gestikulierend führte, wohingegen Emeric ihm schweigend und mit hängenden Schultern lauschte. Sie konnte nicht verstehen, was Aurel sagte, und doch war sie sich sicher, dass er weniger begeistert, weniger mitreißend klang als am Tag zuvor. Ein mürrischer Zug lag um seinen Mund und riss umso tiefere Kerben in die Wangen, als Emeric zu Alaïs’ Überraschung plötzlich den Kopf zu schütteln begann. Aureis Bewegungen wurden fahriger, doch seine Gesten vermochten Emeric wohl ebenso wenig zu überzeugen wie die hektischen Worte, denn der Bruder schüttelte weiterhin den Kopf.
Den Grund ihres Streits konnte Alaïs nicht erahnen, jedoch, dass irgendetwas vorgefallen sein musste.
Hastig zog sie den Kopf zurück, streifte sich die Tunika über das Unterkleid und gürtete sich, während sie auf der schiefen Treppe nach unten stieg. Ihr Vater hatte das Haus verlassen, so wie er es oft zeitig um die Morgenstunde tat. Nicht immer kehrte er dann mit Fisch zurück, was bedeutete, dass ihn meist die Suche nach frischer Luft und Einsamkeit trieb, nicht übermäßiger Fleiß, das Tagwerk noch vor den anderen zu beginnen. Caterina rührte im Kessel Grütze.
»Hast du schon gehört, dass …«
Alaïs wartete nicht ab, bis die Mutter den Satz beendet hatte, sondern stürmte nach draußen.
»Willst du nichts essen?«, rief Caterina ihr nach.
Auch darauf reagierte Alaïs nicht, die schon Richtung Schuppen lief.
Aurel redete immer noch auf Emeric ein, doch jener hatte sich mittlerweile von ihm abgewandt. Erst als Alaïs sich näherte, blickte er auf.
»Und ich tue es doch!«, erklärte Aurel entschlossen, stampfte einmal wütend auf und marschierte dann mit trotzig gerecktem Kinn von dannen.
Emeric machte keine Anstalten, seinem Bruder zu folgen. Er ließ sich auf den
Weitere Kostenlose Bücher