Die Gefährtin des Medicus
abgetragen werden müssten, sondern allein durch die Nähe zu der begnadeten Frau. Bis auf die frechen Kinder war es im Übrigen nur Frère Lazaire, der sich ihr näherte, um ihr das täglich Brot zu bringen, ohne das schließlich auch eine heilige Frau nicht überleben konnte.
»Ich bin mir sicher«, hatte Alaïs’ Vater Ray einmal gelästert, »dass er mindestens die Hälfte dessen selbst frisst.«
Alaïs hatte laut gelacht und sich von der Mutter prompt eine Ohrfeige eingefangen. Was der Vater behauptete, hätte sie gerne geglaubt, wenn Frère Lazaire nicht so unglaublich dürr gewesen wäre. Auch an diesem Abend schlackerte seine kurze, schmutzige und zusammengeflickte Kutte an seinem Leib, umso mehr, als er nun mahnend die Hände hob.
»Glaubt nicht, dass Gott eure Untaten nicht gesehen hat, weil sich nun die Nacht übers Land senkt! Ihr könnt lediglich darauf hoffen, dass der Tag, der euch morgen neu geschenkt wird, sich wieder als jungfräulich rein erweist und euch erneut das Bemühen gestattet, ihn nicht durch schändliches Tun zu beflecken.«
Die Umstehenden zerstreuten sich hastig, schweigend und ohne einander anzusehen. Alaïs gehörte zu jenen, die am längsten stehen blieben und Frère Lazaire am heftigsten zürnten, da er den Tanz vorzeitig beendet hatte. Ein wenig länger nur, dachte sie, und Aurel Autard hätte mich dabei betrachtet!
Suchend blickte sie sich um, wollte im Gesicht des Wanderchirurgen ablesen, was er von dem übellaunigen Franziskaner hielt. Doch jenes Plätzchen vor dem Haus, wo er gerade noch gestanden hatte, war leer. Er hatte sich wohl mit seinem Bruder in den Schuppen zurückgezogen, womöglich lange bevor Frère Lazaire überhaupt erschienen war.
Alaïs fand keine Ruhe. Sie lag oben, in ihrer kleinen Kammer, in der sie nicht aufrecht stehen konnte, aber die sie für sich allein hatte, und wälzte sich über Stunden auf ihrer Schlafstatt. Zuerst waren es die Eindrücke des Tages, die wirr in ihrem Kopf kreisten, dann gedämpfte Stimmen von unten, die sie vom Schlaf abhielten.
Sie konnte nicht genau verstehen, was ihre Eltern miteinander besprachen, aber sie hörte, wie immer wieder die gleichen Namen fielen, darunter auch der von Josse. Sie wusste, dass ihr Vater den fischäugigen Jüngling verachtete, und sie war sich sicher, dass es der Mutter ähnlich erging, auch wenn diese sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als es zuzugeben. Wenn es um die Zukunft der Tochter ging, war die Mutter innerlich zerrissen. Manchmal sprach die einstige Grafentochter aus ihr, die sich auch nach vielen Jahrzehnten nicht daran hatte gewöhnen können, in einem ärmlichen Fischerdorf zu leben, und der es davor graute, die eigenen Kinder nicht über dessen Grenze hinauskommen zu sehen. Dann wiederum war sie die vernünftige, hart schuftende Provençalin, die es sich verbat, von ihrer einstigen Stellung auch nur zu träumen, und die die Tücken des Lebens vor allem eins gelehrt hatten: dass man mit Anpassung viel leichter lebte und weiter kam als mit Aufbegehren. Und schließlich gab es die Stimme der besorgten Mutter, die die Tochter erst so viele Jahre nach den beiden Söhnen geboren hatte und die nicht aufhören konnte, sie als ganz besonderes, gnadenvolles Geschenk zu betrachten. Viel sorgfältiger war das Mädchen zu behandeln als die robusten, gleichmütigen Brüder.
Alaïs spitzte die Ohren, als obendrein Aureis Name fiel. Die Stimme des Vaters klang heiter, jene der Mutter grummelnd – so wie man den einen kaum anders als gut gelaunt sah und die andere immer ein wenig verbissen. Früher hatte sich Alaïs oft gefragt, was der Mutter das Leben so vergällt hatte und warum es dem Vater nichts anhaben konnte. Nur manchmal, in jenen seltenen Augenblicken, da die Eltern frei von Alltagslast und Hader schienen, da war ihr, als blitze in den Augen der Mutter ein klares, uneingeschränktes Ja zum Leben auf, indessen der Blick des Vaters Schwermut verhieß.
Alaïs schlich über die Holzdielen zur Tür, um besser lauschen zu können.
»Ein merkwürdiger Geselle, wenn du mich fragst«, sagte Caterina eben. »Taucht hier auf wie aus dem Nichts und gebärdet sich, als sei das Dorf ihm Untertan.«
»Warum nicht?«, lachte Ray. »Schließlich scheint er klüger zu sein als alle anderen hier!«
»Und was treibt ihn dann nach Saint – Marthe? Warum bleibt er nicht als vornehmer Doktor in Montpellier? Seit wann werden Fischer häufiger krank als die reichen Städter?«
»Nun«, der Vater
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