Die Gefährtin des Medicus
verdrießlichen Ausdruck verlieh. Doch die schlechte Laune verdunkelte nur ihren Blick, ihr Mund lächelte, und Pio Navale störte sich nicht an ihren Worten.
»Die Grüne Insel!«, rief er begeistert. »Ich möchte die Grüne Insel sehen! Raimundus Lullus behauptet, dass man auf jenes Land stoße, segelt man immer weiter westwärts. Ein Paradies voll Blumen und Vögeln sei es, das einst die Karthager und Phönizier besungen hätten. Ich habe …«, er stockte und stand auf, als bedürften seine Worte einer feierlichen Haltung. »Ich habe mich lange darauf vorbereitet. Ich habe viele Gäste empfangen, Männer, die fremde Sprachen sprechen, die ferne Länder bereist haben, die etwas von Seefahrt verstehen. Aus Genua kamen sie, dessen Kaufleute lange das Mittelmeer beherrschten, aus Aragon, das Genua schließlich den Rang ablief, zuletzt viele Portugiesen, in deren Händen das ozeanische Meer ist. Und am Ende habe ich eine Schar gefunden, die bereit ist, mir zu folgen und diese Grüne Insel zu entdecken.«
Wieder hob seine Frau die Augenbrauen, ein wenig leidend, ein wenig skeptisch, aber auch – das erkannte Alaïs nun – mit aufrichtiger Zuneigung. Pio Navale ließ sich wieder in seinenStuhl fallen. Ehe sie etwas sagen konnte, berührte er kurz ihre Hand. Nur flüchtig verharrten seine Finger auf den ihren, schienen keinen sonderlichen Reiz darin zu finden, fremde Haut zu ertasten. Und doch schien er die Vergewisserung zu brauchen, dass er nicht allein war, weder hier in Marseille noch künftig auf dem riesigen Weltenmeer – ganz gleich, dass seine Begleiterin einen so widerwilligen Eindruck machte.
»Ich weiß nicht, wie lange ich fortbleiben werde«, erklärte er. »Und so hat mein Weib Bianca beschlossen, mich zu begleiten.«
Alaïs war erstaunt zu hören, dass es ihre Wahl gewesen war und nicht seine, dass sie sich selbst dazu aufgerafft hatte, anstatt von ihm überredet zu werden. Doch Bianca nickte, als er geendigt hatte, was wohl heißen sollte, dass ein Mann, der alle Sprachen sprechen wollte, über Widerspruch nicht hinweggehen würde, würde jener denn laut. Nur Biancas Verdrossenheit konnte er nicht hören, denn die machte sich keine Worte, sondern blieb leise.
Alaïs indes, die sie so deutlich fühlen konnte, spürte ärger hochsteigen – und Neid. Eine Reise zu einer fernen Insel! Ein unvorstellbares Abenteuer! Und dieses Weib hockte da, als habe es eine Kröte verschluckt und als wäre es eine größtmögliche Gnade, dass sie ihrerseits dem Mann folgte – anstatt umgekehrt ein Geschenk!
»Und was hast du damit zu schaffen?«, hörte sie plötzlich Emy zu Aurel sagen. Emy hatte sich bislang nicht zu Wort gemeldet. Jetzt ließ seine Stimme keinesfalls Begeisterung erkennen, nur Unverständnis. »Du wolltest den menschlichen Körper erforschen, und nun treibt es dich auf eine Insel jenseits der bekannten Welt?«
Aurel war mit einem glänzenden Blick, der ansonsten nur Kranken galt, Navales Rede gefolgt. »So wie du es sagst: jenseits der bekannten Welt«, rief er nun, sichtlich von dieser Vorstellung beflügelt, »jenseits unseres Horizontes gar. Und genau das ist es, was ich mir erhoffe. Dass sie nichts gemein hat mit allem, was wir kennen.«
Durch die letzten Worte klang Bitterkeit. Sie verrieten mehr als seine flüchtige Erzählung über den Aufenthalt in Bologna. Viele Misserfolge mussten den Weg der letzten Jahre gepflastert haben, mehr als er zugab. Weitere Menschen mussten sich über ihn erregt, gegen ihn intrigiert, ihn verjagt haben, wie seinerzeit in Avignon. Hinter seinen blitzenden Augen lag kurz ein ähnlicher Verdruss wie in Biancas Miene, und seine hektischen Bewegungen mochten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er älter geworden war – und vielleicht auch etwas müder.
»Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs sein werden«, erklärte Pio Navale. »In jedem Fall brauchen wir einen guten Medicus auf Reisen. Ich bin meinem Bruder Giacinto dankbar dafür, dass er die Begegnung mit Signore Autard ermöglicht hat.«
Er lächelte Aurel zu, aber er sah ihn nicht an. Bislang hatte er keinem ins Gesicht schauen können. Würde er, wenn seine Augen doch stets ins Weiße verrutschten, überhaupt diese ferne, Grüne Insel sehen? Und Bianca, die jetzt schon ausgezehrt schien von der Mühsal einer langen Reise und die doch nicht ihre Hand unter der seinen wegzog? Und erst Aurel, der vor Jahren noch gesagt hatte, dass ihn keine Wissenschaft außer der Medizin interessiere?
Kurz dachte
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