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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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plante.
    Eben war Emy auf der letzten Stufe der Treppe stehen geblieben. »Vielleicht … vielleicht sollten wir nicht hierbleiben. Das Kind ist müde.«
    Derlei Eindruck machte Raymonda nicht. »Ach was!«, rief Alaïs, um sogleich hinzuzusetzen: »Er ist dein Bruder! Und du hast ihn seit Jahren nicht gesehen! Willst du nicht wissen, wie es ihm ergangen ist?«
    Emy sagte nichts, doch auch Aurel war dessen Zögern nicht entgangen. »Nun beeilt euch!«, rief er. »Ihr könnt mit uns essen! Pio Navale ist der gastfreundlichste Mensch, den ich kenne. Als ich seinerzeit nach Florenz kam, habe ich gestunken wie ein Bettler, und doch hat er mich empfangen wie einen König.«
    Alaïs konnte sich vorstellen, in welchem Zustand er gewesen sein musste, ganz auf sich gestellt, ohne aufmerksamen Bruder an der Seite, der für Mahlzeiten, Kleidung und eine Schlafstatt sorgte.
    Aurel stieß die Tür zu einem der Räume auf. Um einen länglichen Tisch herum saßen mehrere Menschen, Männer vor allem, aber es waren auch Frauen darunter. Alaïs erkannte Giacintos Bruder auf den ersten Blick. Nicht, weil er ihm sonderlich ähnlich gesehen hätte, aber weil sie nahezu gleich gekleidet waren: mit einem weinroten Wams aus edlem Samt und ziemlich engen Hosen. An seiner Seite hockte eine Frau, wohl sein Eheweib, die, selbst wenn sie lächelte, verdrossen dreinblickte.
    »Stellt Euch vor, Signore Navale!«, rief Aurel, unbekümmert, dass er womöglich die Mahlzeit störte. »Stellt Euch vor, ich habe meinen Bruder getroffen. Und dessen Frau.«
    Pio Navale hob den Kopf, und da erlebte Alaïs zum ersten Mal, wie sein Blick, nachdem er kurz auf ihnen geruht hatte, ins Weiße verrutschte. Raymonda schrie entsetzt auf.
    Emy streichelte beruhigend über ihren Kopf. »Ich sagte doch, das Kind ist müde!« Er klang nörgelnd.
    Doch Aurel hatte bereits auf der Bank Platz genommen und winkte Alaïs und Emy einladend zu sich. Sie zumindest ließ sich nicht lange darum bitten, zumal ihr der Duft der Speisen verführerisch in die Nase stieg. Pasteten aus Fleisch, Geflügel und Wildbret befanden sich auf den Platten, desgleichen in Mehl gewalzter und in Zitronensaft gebratener Fisch.
    So aufgeregt sie war, Aurel wiederzusehen, Fremde zu treffen und von einer Reise in die Ferne zu hören – in diesem Moment erwachte vor allem die Gier, endlich wieder von ähnlich edlen Speisen zu kosten wie einst in Avignon. Der Grütze, dem harten Brot, dem Fisch der letzten Jahre war sie so überdrüssig.
    Als Aurel ihr nun eine Platte hinschob und sie den ersten Bissen Fleisch nahm, ja, als sie schließlich erfuhr, was Pio Navale plante und Aurel mit ihm zu schaffen hatte, so erschien ihr beides so köstlich, so belebend, so appetitanregend, dass sie sich wohl auch mit viel weniger zufriedengegeben hätte, um ihren einstigen Groll gegen Aurel zu begraben.
     
    Sie aßen, sie tranken, und sie hörten zu, als Pio Navale von seiner anstehenden Reise sprach. Deren Ziel benannte er vorerst nicht, jedoch das, was ihn dazu trieb. Wie Giacinto einst über seinen Bruder angedeutet hatte, war dieser einer, der seinen Verstand in immer neue Sphären trieb.
    Er hatte sich mit Geometrie und Astronomie, mit Mathematik und Musik beschäftigt. Er kannte die Werke der heidnischen Philosophen, ebenso wie die der scholastischen Theologen. Er hatte Roger Bacon und Robert Grosseteste, Albertus Magnus und William von Ockham, Thomas von Aquin und dessen Gegenspieler Johannes Duns Scotus gelesen.
    Und dann hatte er eines Tages in seiner Bibliothek gesessen, ein riesiger Raum im Palazzo des Vaters, der vom Boden bis zur Decke mit Büchern vollgestellt war: in verstaubtes Leder eingefasste Bände, mit glänzenden Metallkanten und goldenen Schlössern. Und plötzlich hatte er das Gefühl gehabt, sämtliche Schriften, für die in diesem Raum Platz war, zu kennen, für jeneBücher aber, die er noch nicht kannte, keinen Platz mehr zu haben.
    »In diesem Augenblick«, erzählte er, und wieder verrutschten seine Augen ins Weiße. »In diesem Augenblick dachte ich mir, dass die Welt viel größer sein müsste, als ich sie mir bislang vorgestellt hatte. Weil es noch unendlich viele Bücher gibt, die geschrieben werden müssten, und jene wiederum unendlich viel Platz brauchten. Und Gott, der vom Menschen will, dass er zur Erkenntnis kommt, muss doch in seiner vorausblickenden Weise diesen Platz geschaffen haben. Hätte er sonst im Korinther – brief versprochen, dass der Mensch dereinst nicht nur in

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